Interview mit Jörg Könözsi: Soziales Engagement in Rumänien, politisches in Deutschland

»Nichts sagen heißt zustimmen!«

Ein Interview mit Jörg Könözsi
Von Nicole Rensmann

Thomas Pfeiffer arbeitete viele Jahre als Diplom-Pädagoge, bevor er sich in diesem Jahr als Social Media Berater selbstständig machte. Er schlug für die neue Rubrik seinen Cousin Jörg Könözsi vor, weil er – wie Thomas Pfeiffer sagte – einen Brief an Herrn Rüttgers geschrieben habe. Doch Jörgs Leben ist viel facettenreicher und interessanter und somit auf jeden Fall wert, ihn und seine Arbeit hier vorzustellen:

Du lebst seit fast zehn Jahren mit deiner Frau Floris in Bukarest, bist mit einer rumänischen Fraujoergverheiratet, die Politik in Deutschland interessiert dich aber noch so sehr, dass du Ministerpräsident Jürgen Rüttgers einen Brief geschrieben hast, weil dich seine Aussage über „faule Rumänen“ tief getroffen und wütend gemacht hat.
Wirst du das Thema weiter verfolgen und auf Rücktritt pochen?

Gegen Windmühlen weiter kämpfen? – Nein. Meine Meinung weiterhin sagen? – Ja. Das eigentlich Schlimme an der Geschichte Rüttgers’ liegt nicht an der Aussage, es liegt in den Reaktionen. Die CDU nimmt das einfach hin und viele in Deutschland denken, das was „richtig“ ist, muss gesagt werden. Dieser latente Hass gegen alles was fremd ist, der macht mich wütend. Und Rumänien ist für viele einfach fremd, sie kennen Dracula und der ein oder andere hat auch was von Ceausescu gehört – und das war es. Das gleiche erlebe ich auch hier in Rumänien. Ältere Menschen »begrüßen« mich ab und zu mit »Heil Hitler«, weil sie seitdem nicht mehr viel über Deutschland erfahren haben. Oder sie denken an Deutschland als das »gelobte« Land, weil sie noch nichts von der bestehenden Armut in Deutschland gehört haben. Es ist also nicht schlimm, dass Rüttgers keine Ahnung hat. Er hätte aber lieber Dieter Nuhr befolgen sollen. Der hat mal gesagt: »Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten.« Wahrscheinlich hat Rüttgers auch sein Nokia  Telefon weggeschmissen, weil das jetzt in Rumänien gebaut wird. Soll ich ihm noch sagen, was sonst noch alles hier »gebaut« wird? Wahrscheinlich sind 20% der Kleider und Schuhe, die er im Schrank hat, auch in Rumänien hergestellt worden. NEIN – ich will ihn jetzt wirklich nicht nackt sehen :-).

Wie sieht die Fremdenfeindlichkeit in Rumänien aus?

Die Fremdenfeindlichkeit hier in Rumänien konzentriert sich sehr auf die Roma, die größte »Minderheit« hier in Rumänien. Die ist leider fest verwurzelt und stetig präsent. Ich glaube aber, dass es nicht ein Problem der Deutschen oder der Rumänen ist. Ich glaube Hass gegen Fremdes ist leider überall zu finden. Die Frage ist, was wir dagegen tun können. Meine Antwort: Nicht zusehen und seine Meinung sagen. Sollen nur die Anderen die Meinungsfreiheit genießen? Nichts sagen heißt zustimmen.

In Bukarest führst du seit 2002 einen Verein »Ateliere Protejate« (»Behütete Werkstätten«), in dem Menschen mit Behinderungen ab 18 Jahren Ziel und Kraft gegeben wird. Wie bist du auf die Idee gekommen, diesen Verein zu gründen?

Ich bin das erste Mal 1992 nach Rumänien gekommen. Damals mit Hilfstransporten. Wir sind in ein Kinderheim gefahren. 1994/95 war ich für elf Monate als freiwilliger Helfer in Bukarest, um mit Straßenkindern am Nordbahnhof und in einem staatlichen Kinderheim zu helfen. Zu dieser Zeit habe ich viele Jugendliche kennen gelernt, die an der Grenze zum Erwachsensein standen, und nachdem sie das 18. Lebensjahr überschritten hatten, durch das Hilfsnetz gefallen sind. Man fragt sich jetzt warum? Es waren doch so viele Hilfsorganisationen aus dem Ausland in Rumänien? Richtig, und auch sie haben »Kindern« geholfen, weil sich das natürlich »besser verkauft«. Auslandshilfe ist ein »Geschäft«, auf dem die Großen alle aufbauen. Jede Katastrophe spült nicht nur Geld in die Spendenkassen, sondern auch Marketing-Plus-Punkte. Mir ging es darum, für die etwas zu tun, die unten durchfallen. Damit der Begriff »Menschen mit Behinderung« verstanden wird, möchte ich ergänzen, dass wir auch Menschen mit »sozialer Behinderung« aufnehmen.

Hättest du dir vorstellen können, so einen Verein auch in Deutschland zu gründen?

Ich könnte mir durchaus vorstellen, überall auf der Welt etwas zu machen, was benötigt wird. Auch damals in Deutschland. Die Abenteuerlust und meine jetzige Frau hat meine Entscheidung damals sicherlich beeinflusst.

Ihr finanziert euch durch die bei euch hergestellten Kerzen (wunderschöne übrigens) und durch Sponsoren. Reicht das?

Es muss. Und das ist auch meine Arbeit. In den letzten Jahren habe ich gelernt, dass man noch so gute Ideen haben kann und noch so notwendige Dinge tun möchte, wenn man es nicht finanzieren kann. So wurde ich zum professionellen »Bettler«, habe viel über Marketing, Fundraising, Buchhaltung und Öffentlichkeitsarbeit gelernt. Eben alles Dinge, die ein Sozialarbeiter kennen sollte :-). Wir beklagen uns nicht. Wer die Notwendigkeit unserer Arbeit auch spürt, der wird uns helfen. Darüber hinaus ist mir bewusst, dass es so viele »Notwendigkeiten« überall gibt, dass ich mich freue, wenn Menschen sich, egal wo und wie, für eine gute Sache einsetzen.

Wie stoßen die jungen und älteren Erwachsenen zu euch?

Da das staatliche Hilfesystem in Rumänien ziemlich am Boden ist, funktioniert das bei uns mehr über Mundpropaganda. Das sind dann oft solche Dinge wie »Mein Nachbar hat von Ihnen eine Kerze gekauft. Da meine Tochter auch eine Behinderung hat, hat er mir Ihre Adresse gegeben…« oder »Ich kenne Frau X, ihr Sohn ist auch bei Ihnen…« Seit mehr als zwei Jahren wächst leider unsere Warteliste. Noch in diesem Jahr werden wir aber weitere 8 Halbtagsplätze anbieten.

Thomas Pfeiffer hat dich nicht nur empfohlen, weil er dein Cousin ist, sondern vor allem, weil er von deiner Arbeit sehr viel hält. So fuhr er mit dem Fahrrad von Würzburg nach Bukarest, um für dein Straßenkinder-Projekt Aufmerksamkeit zu erregen.
Was war das damals für ein Projekt?

Nur nochmals zur Richtigstellung: Wir arbeiten nicht nur mit Straßenkindern (Jugendlichen). Die Zahl der Straßenkinder ist auch sehr stark zurückgegangen.

Richtig, es war eine Aktion um Aufmerksamkeit zu erregen. »Schaut her, uns gib es auch«, und es gibt Menschen die setzen sich dafür ein, wie Thomas. Für mich war es weniger die Strecke von über 2000 km, die er mit dem Fahrrad zurückgelegt hat, viel mehr hat mich begeistert, dass er die Strecke alleine gefahren ist und sich so die Mühe gemacht hat, unsere Arbeit kennen zu lernen. Thomas wurde so zum Botschafter unseres Vereins. Und wie man sieht, ein guter Botschafter, denn auch fünf Jahre nach der Aktion erzählt er immer noch von uns.

Du engagierst dich sozial, bekommst keine Lobeshymnen, stehst nicht in der Zeitung, wirst nicht gepusht, nach oben geschoben oder mit Auszeichnungen versehen. Doch Anerkennung brauchen wir alle irgendwann ab und an. Wer gibt sie dir, und wie?

Lobeshymnen bekomme ich doch. Hymne = Musik. Jeder hat einen anderen Musikgeschmack und empfindet eine bestimmte Musikrichtung als „Hymne“, für den Einen Rock, für den Anderen ist das klassische Musik. Meine Hymnen sind „leiser“, sie sind oft nicht zu hören, aber sie sind da. Das sind glückliche Menschen, die bei uns in der sozialen

Kerzenwerkstatt arbeiten. Da ist eine Mitarbeiterin (Sozialarbeiterin), die in einem Interview gesagt hat, dass sie es nicht als Arbeit empfindet was sie tut, sondern täglich ihre Zeit im „Freundeskreis“ verbringt. Es kommt also darauf an, was man hören will. Und zum Thema Auszeichnungen: Dieses Interview ist doch eine.

Und wenn ich ab und zu etwas taub gegenüber »Hymnen« bin, habe ich ja meine Frau. Flori lobt mich zwar nie (das ist einfach nicht ihr Ding), aber sie hat ein unerschöpfliches Verständnis für all das, was ich mache. Fast alles :-)

Das hast du sehr schön ausgedrückt.
Was hast du gemacht, bevor du nach Bukarest gegangen bist?

Ich habe Sozialarbeit in Freiburg i. Br. Studiert, dort auch als freier Mitarbeiter bei der Landeszentrale für politische Bildung und beim Malteser Hilfsdienst gearbeitet. Bei den Maltesern als Erste-Hilfe-Ausbilder und später als Sekretär der Geschäftsführung. Bei Matthias Kläsle, dem damaligen Geschäftsführer der Malteser, habe ich sehr viel über »Organisatorisches« (unter anderem Buchhaltung und Büroorganisation, etc.) aber auch viel »Menschliches« (unter anderem Personalleitung und Führung, etc.) gelernt. Bevor ich also nach Bukarest gegangen bin, habe ich nichts anderes gemacht als jetzt – lernen.

Vielen Dank für das Interview. Ich wünsche dir viel Kraft für ähnliche, tolle Projekte – und was die deutsche Politik betrifft: Vergiss sie! Das, was du machst, ist viel mehr wert als politisches Gerede, das morgen schon nicht mehr zählt.

Ein einfaches, ehrliches Danke!

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