Pandemie – Geschichten zur Zeitenwende (Hrsg. Hans Jürgen Kugler / René Moreau)

32,00 

Hardcover
mit Lesebändchen
462 Seiten
Hirnkost Verlag. 2020
ISBN 978-3948675592

Zahlreiche farbige Illustrationen.

2022 Nominiert für den Vincent Preis, Kategorie Beste Kurzgeschichte mit »Acht Minuten Leben« von Nicole Rensmann.

Auf Wunsch inkl. Signatur der Geschichte „Acht Minuten Leben“.

Wunderschöne Ausgabe!

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Beschreibung

Anthologie, Hrsg. Hans Jürgen Kugler / René Moreau

Pandemie – Geschichten zur Zeitenwende.

enthält die Geschichte von Nicole Rensmann „Acht Minuten Leben“ und Geschichten folgender Autor*innen: Alexa Rudolph, Andrea Timm, Anne Grießer, Armin Möhle, Bernhard Grdseloff, Christian Endres, Christian J. Meier, David Daubitz, David Staege, Frank Neugebauer, Hans Jürgen Kugler, Heidrun Jänchen, Henrik Wyler, Jan Hoffmann, Jörg Weigand, Karla Weigand, Karlheinz Schiedel, Marianne Labisch, Mario Franke, Michael Hirtzy, Michael Kootz, Michael Siefener, Michael Tillmann, Michael Vogt, Monika Niehaus, Nicole Rensmann, Rainer Schorm, Renate Schiansky, René Moreau, Robert Schweizer, Thomas Kolbe, Thomas Neu, Uli Bendick, Ute Wehrle, Uwe Neuhold, Virus, Vladimir Hernández Pací­n, Werner Zillig, Wolf Welling,

 

Leseprobe

Nicole Rensmann

Acht Minuten Leben

Bine kam acht Minuten zu spät nach Hause, sie schloss die Haustür auf und erwartete ihren Vater im Flur stehen zu sehen, der auf seine Armbanduhr klopfen und ihr eine Standpauke zum Thema Disziplin halten würde. Das Licht brannte, im Hintergrund hörte sie den Fernseher laufen. Ihr Vater wartete nicht. Sie atmete durch und strich sich über die Haare. Sabine, die alle Bine nannten, war im Stones gewesen, hatte dort ein paar Bier getrunken, Poker gespielt und mit ihrem Freund geknutscht. Fünf Monate war sie mit Michael zusammen – ihre erste große Liebe. Er war achtzehn, ein Jahr älter als sie. Nur ihre Freunde wussten davon. Und das sollte auch so bleiben.

Sie ging ins Wohnzimmer. »N’Abend!«, nuschelte Bine, erhielt aber keine Antwort. Ihre Eltern starrten auf den Fernseher und beachteten Bine nicht. Sie setzte sich auf den Hocker, der schräg gegenüber dem Fernseher stand und den Bruno, der kleine Mischlingsrüde, zur Hälfte einnahm. Er schnarchte leise.

Die Tagesschau zeigte Szenen aus einem Krankenhaus, in dem die Flure von übereinandergestapelten Leichensäcke versperrt waren. Ortswechsel. Menschen rannten über eine Straße. Sie trugen Masken, manche stolperten, stürzten zu Boden, wurden überrannt und blieben unbeachtet liegen. Oben rechts in der Ecke zeigte das Datum den 24.12.1981 – das war knapp acht Wochen her.
Hatte sich der kalte Krieg in einen heißen Krieg verwandelt? Bine lief es eiskalt über den Rücken.

Sie nahm Bruno auf den Schoß und drückte ihn an sich.

Dagmar Berghoff erschien auf dem Bildschirm. Die Tagesschausprecherin erklärte mit ernstem Gesicht und in ruhigem Ton, die Aufnahmen stammten aus China und lägen der deutschen Regierung seit ein paar Wochen vor. Heute hätten sich die Parteien darauf verständigt, an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Menschen seien an einer unbekannten Krankheit gestorben, deren Symptome einer starken Grippe ähnelten, jedoch häufiger und deutlich schneller zum Tod führte. Nach Informationen der Tagesschau hatte das Robert-Koch-Institut das Bundesgesundheitsamt vor drei Wochen darüber aufgeklärt, dass diese Krankheit auch in Deutschland aufgetreten sei und sich rasant verbreite.
Die Regierung bitte darum, zuhause zu bleiben, alle Fenster und Türen geschlossen zu halten, bis weitere Informationen bekannt gegeben würden. Es sei möglich, dass es sich um eine Bio-Waffe handele, habe der Sprecher in einer kurzen Erklärung mitgeteilt.

»Wir werden Sie rund um die Uhr informieren«, sagte Dagmar Berghoff.

»Das gilt aber nur für Morgen? Wir müssen jetzt nicht wochenlang zuhause bleiben, oder?«, fragte Bine.

Wie gewohnt reagierte ihr Vater unwirsch: »Hör doch zu! Du bleibst zuhause, bis wir wissen, um was es sich handelt. Steck deine Nase in die Schulbücher und hilf deiner Mutter im Haushalt.«

Alles klar, dachte Bine, setzte Bruno auf den Sessel zurück und ging in ihr Zimmer. Sie hasste ihren Vater, ihre Mutter. Immer ging es nur um die Schule, pünktlich zuhause zu sein, den Müll rauszubringen oder den Tisch zu decken. Nie erkundigten sie sich nach ihr, fragten wie es ihr ging, ob sie einen schönen Abend gehabt hätte oder was ihre Freunde machten.

In ihrem Zimmer schaltete sie das Radio an. Dort sprach der Moderator von einem unsichtbaren Feind, der sich von hinten an die Menschen heranschlich und zu Fall brachte. Niemand wisse, wo der Ursprung der Krankheit läge.

Sie hockte sich auf die Bettkante und starrte auf die blinkenden Anzeigen ihrer Stereoanlage.

Der Radiosprecher interviewte einen Politikwissenschaftler und fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, dass ein anderes Land versuche, die diplomatische Beziehung zwischen China und Deutschland auf diese Art zu unterbinden. Der Mann antwortete: »Seit dem 11. Oktober 1972 stehen China und Deutschland in einer diplomatischen Beziehung. Kein Land hätte Vorteil von der Zerstörung dieses Bündnisses. Beide Länder sind betroffen, eine Zerrüttung, ein Misstrauen entstünde erst, wenn eins der Länder unbeschadet bliebe. Das ist hier nicht er Fall.«

»Damit hätte sich die Theorie einer biologischen Waffe aus Ihrer Sicht widerlegt?«, fragte der Moderator und wartete nicht auf die Antwort. »Moment. Ich höre«, er klang aufgeregt, »dass auch in anderen Ländern eine Vielzahl an Menschen gestorben sein sollen, die ähnliche Symptome zeigten. Wir spielen kurz Musik und ordnen die neuen Informationen ein.«

Phil Collins sang In the Air tonight.
Bine fror, sie drehte die Heizung höher.

Nach dem Song gab es eine weitere Mitteilung, in der es hieß, die Staatsoberhäupter weltweit äußerten sich momentan nicht zu den tatsächlichen Zuständen der Bürger. Die Gefahr sei allen bewusst, keiner wisse, um welche Art von Gegner es sich handelte. Die Regierung appellierte an die Bürger zuhause zu bleiben.

Mit einem Mal wurde Bine klar, dass auch ihr Vater in den nächsten Tagen zu Hause blieb und sie mit Aufgaben, die sie erledigen sollte, schikanieren würde. Keine Schule, Freunde und Michael nicht sehen können – für Bine brach eine Welt zusammen. Sie spürte einen Kloß im Hals und weinte. Sehnsucht und Verzweiflung. Wie sollte sie das aushalten?

Es war kurz vor zwölf, als sie ins Bett ging. Das Radio lief leise im Hintergrund, ihre Eltern sollten nicht merken, dass sie noch nicht schlief. Zum Glück kamen sie nicht in ihr Zimmer. Eine weitere Ausnahme, die Bine willkommen war.

Sie lauschte die halbe Nacht den Ausführungen und Erläuterungen des Radiosprechers. Umso mehr sie hörte, desto weniger fühlte sie sich informiert. Spielte SWR3 Musik, stellte sie das Radio auf eine neue Sequenz ein und hörte einem anderen Moderator zu. Irgendwann fiel sie in einen unruhigen Schlaf, aus dem sie durch lautes Klatschen geweckt wurde. Ihre Mutter stand im Zimmer und schlug ein Buch – peng, peng, peng – rhythmisch auf ihren Schreibtisch.

»Aufstehen. Dein Vater hat Arbeit für dich!«

Bine blickte auf den Radiowecker, 7:24. »Heute ist Sonntag!« Bines Stimme klang ein bisschen zu laut. Als habe er nur darauf gewartete, stürzte ihr Vater in das Zimmer und schrie sie an.

Bine schossen die Tränen in die Augen. Ihre Eltern verließen das Zimmer, ohne ein freundliches Wort. Sie stand auf, nahm sich ihre Klamotten, ging ins Bad und schloss sich ein. Als ihr Vater das erste Mal mitbekommen hatte, dass sie die Badezimmertür abschloss, um ihre Privatsphäre zu wahren, war er wütend geworden. Sie hatte ihn ignoriert.

Der Kaffee in der Kaffeemaschine war kalt. Ekelhaft. Bine goss sich ein Glas Milch ein und toastete sich eine Scheibe Brot.
Ihr Vater hämmerte im Haus. Sie folgte den Geräuschen und fand ihre Eltern im Schlafzimmer. Ihre Mutter hielt ein Brett vor die Fensterscheibe, die ihr Vater mit Nägeln an den Holzrahmen befestigte.

 

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Grafik zur Story

Die Grafik zu meiner Story stammt von Uli Bendick.