KOLUMNE: Verlagsmarketing und Pressekataloge – alles vom Besten. Echt?

NR-Logo https://nicole-rensmann.deSie trudeln wieder ein: Die Pressevorschauen der Verlage. Jetzt. Wenn die Temperaturen fallen, die Schneeschieber nervös mit der Metallkante scharren und LEDs die Fenster erhellen. Viele Verlage setzen längst auf pdf, doch einige halten an blattstarken Pressekatalogen fest. Am Inhalt und der Präsentation ändert das auch nur wenig. Bunt sind sie, vollgepackt mit neuem Lesestoff. Wichtige Pressestimmen bestätigen, das Buch von Seite 2 ist die beste Geschichte aller Zeiten, und das Buch von Seite 35 und das von Seite 105 auch. Die Marketingagentur schreibt fette Slogans und reimt ein bisschen was dazu. Klappentexte klingen nach Weltbestseller. Knallige Cover, niedliche Accessoires und Autorenporträts vom Starfotograf  machen aus der Verlagsvorschau einen gedruckten Catwalk.

Wer ist der schönste Autor? Wer präsentiert die beste Story … privat natürlich? Und welcher Roman erhält die Auszeichnung Best-Bestseller? All das wirkt wie ein Wettbewerb für Bunt, Schön, Best. Literatur? Nebensache.

Die Geschichte – die schönste Nebensache der Welt

Ein Foto, dass der Gatte oder die Lebensgefährtin geknipst hat, mag persönlich, aber keinesfalls für die Pressevorschau geeignet sein. Da muss schon ein bisschen mehr Make-up, Puder und in jedem Fall Atmosphäre aufs Bild. Was nicht richtig glänzt wird am PC glänzend gemacht und wo zu viel Glanz ist, wird virtuell abgepudert. Die Pose, das Lächeln, die Augen – alles muss zur Präsentation passen.

Prämierte Autorenkollegen lassen sich zu kurzen Best-Slogans hinreißen. Ein Gegen-Slogan wird vorgemerkt. Die namenhafte Presse weiß schon vor dem Buchdruck: Dieser Autor wird den Literaturhimmel erobern. Und die Klappentexte erzählen nur das Beste über den Inhalt den sie präsentieren dürfen. Kurze bis mittellange Pressetexte ergänzen das Beste zum Buch – in jedem Fall nicht zu viel Text. Das Buch soll gekauft werden, bevor es langweilig wird.

Leseprobe? Fehlanzeige! Der Leser muss so früh abgeholt werden, bevor er feststellt, dass der Schreibstil nicht gefällt, der Klappentext nicht der Geschichte entspricht und die Fotos aus der Modelkarriere stammen.

Sind wir alle so oberflächlich geworden, dass wir uns von den Hochglanz-Photoshop-Bildchen beeinflussen lassen, wenn es darum geht spannenden, gefühlvollen und einzigartigen Lesestoff zu finden? Zählt der gekauft-geschenkte Satz eines Bestseller-Autors oder der Tagespresse mehr als das eigene Urteil? Sind Klappentexte nur noch Werbetexte – an der Geschichte vorbei geschrieben?

Setzen. 6!

Der Lektor.  Der Verlag. Die Verkaufsabteilung. Vorauswahl mit Meinungsdruck.

Ein Verlag erhält ein Manuskript. Natürlich sind darunter viele, die es nicht zu lesen lohnt. Schlechter Schreibstil, langweilige Story, miserable Rechtschreibung. Gibt es. Zu oft. Klar. Lektor und Verlag treffen also für mich – den Leser – eine Vorauswahl. Das muss so sein, das ist ihr Job. Das ist halt so. Mal gut, mal schlecht. Mal richtig, mal falsch. Alles ist Geschmacksache, auch was den Lesestoff betrifft. Doch blättere ich die Pressekataloge durch, beschleicht mich ein seltsames Gefühl. Hier wird es mir zu bunt, zu laut, zu viel. Wie ein Marktschreier preisen die Verlage ihre Bücher an – jedes ist das beste. Jeder Autor – jede Autorin – der beste und einzige und nächste Stern am Literaturhimmel. Meine Skepsis neuen Büchern gegenüber wächst. Umso majestätischer die Fotos, je wortreicher der Klappentexte und größer Mann, Frau, Presseportal die ihre Begeisterung in einen Satz tippen, damit er auf der Rückseite des Buches gedruckt werden kann, umso eher kaufe ich dieses Buch nicht.

Ich will Leseproben – kriege sie nicht. Ich möchte selbst entscheiden. Das darf ich nicht. So scheint es. Werbung ist wichtig, ohne geht es nicht, aber offen und ehrlich muss sie sein. Und zu einer Geschichte gehört zumindest ein Teil dieser, ein kleiner, ein spannender, ein witziger, ein aussagekräftiger, einer, bei dem der Leser erkennt, wie der Autor schreibt. Denn erzählen kann mir der Verlag viel. Ich möchte aber, dass der Autor mir etwas erzählt – für einen kurzen kleinen Augenblick und wenn mich diese Zeilen packen, dann hat er mich und ich das Buch wird meins.

Ich kaufe kaum noch aktuelle Bücher. Geheimtipps – das ist mein Lesestoff. Bücher, die im Kleinen groß werden. Romane, die vor zehn Jahren zu gut für einen Bestseller waren, weil ihnen die Marketingabteilung als I-Punkt fehlte – das will ich lesen. Aktuelle Pressekataloge blättere ich durch und dann fallen mir solche Kolumnen dazu ein wie dieser hier. Schade eigentlich.

Mach es wie die Gebrüder Grimm: Erzähl es weiter.