Rezension: „Die Mechanik des Herzens“ von Mathias Malzieu

Die Mechanik des Herzens von Mathias MalzieuEin Märchen für Erwachsene. Das ist der 192 Seiten schmale Roman von Mathias Malzieu in jedem Fall. Die Idee erinnert stellenweise an Mary Shelleys „Frankenstein“. Ein Monster wird jedoch nicht erschaffen, obwohl die Aktivitäten einer der Hauptcharaktere durchaus monströs sind. Madeleine, eine etwas wundersame Frau, die als Hexe verschrien ist, arbeitet als Hebamme. Zu ihr kommen jedoch nicht die reichen und feinen, sondern all die Frauen und Mädchen, die ihr Kind nicht behalten wollen oder können. Doch Madeleine bringt nicht nur zahlreiche Kinder auf die Welt, die dann – bis kinderlose Paare sie abholen – bei ihr leben, sie repariert auch Menschen, wie andere Autos.
Da wäre z.B. der Polizist Arthur, der viel lieber Musiker geworden wäre. Stets singend, verlor er seinen Job und dann seine Frau. Er stürzte in mehrfacher Hinsicht und brach sich das Rückgrat. Die gute Madeleine setzt ihm eine Eisenstange anstelle der Wirbelsäule ein. Nun kann er sogar auf sich selbst musizieren. Leider rostet die Eisenstange. Nun, man(n) kann nicht alles haben. Die Idee ist jedoch grandios und davon hätte ich gerne mehr gehabt. Leider setzt der Autor seinen Schwerpunkt auf die Liebe, die nicht märchenhaft, sondern zotig und schwülstig dargestellt wird und an einen schlechten Erotik-Roman erinnert. Der Protagonist: zu Beginn ein zehnjähriger Junge.

Jack ist ein Junge, dessen Herz bei der Geburt nicht richtig schlug. Madeleine pflanzt ihm an dessen Stelle eine Kuckucksuhr ein. Das ist so weit kein Problem. Bis sich der Junge verliebt und sein Herz aus dem Takt gerät. Seine Ziehmutter verbietet ihm, sich zu verlieben, würde dies doch seinen Tod bedeuten können. Doch Jack kann den Gedanken von dem kleinen, singenden Mädchen mit der Brille nicht abwenden. Er versucht alles, um sie zu treffen und geht dafür extra zur Schule. Dort erfährt er, dass Miss Acacia weiter gezogen ist und bezieht für seine Offenheit zu seinen Gefühlen Prügel. Dummerweise reagiert sein Herz aus Holz darauf und ein Unglück geschieht. Jack muss vor den Dorfbewohnern und der Polizei flüchten. Ein Junge mit dem Herz einer Kuckucksuhr – gejagt wie ein Biest. Seine Flucht nutzt Jack, um Miss Acacia zu finden, dabei stößt er auf seltsame Typen, lernt jedoch auch neue Freunde und die Liebe kennen…

Mathias Malzieu hat den Roman im Präsens und zudem in der Ich-Perspektive geschrieben. Das ist ungewöhnlich und zu Beginn lesen sich die ersten Seiten kompliziert. Nicht oft ertappe ich mich dabei, dass ich einen Satz wiederholt lese und diesen in die beim Schreiben häufiger verwendete Vergangenheitsform umsetze. Nun mag ich experimentelle Literatur sehr. Aber. 

Bis Jack flüchtet, wählt der Autor einen sehr blumigen und angenehmen Märchenschreibstil. Die Geschichte rund um Madeleine macht Spaß, davon hätte ich gerne mehr gehabt. Doch dann werden die Sätze kürzer, abgehackter, die Handlung wird so schnell voran getrieben. Hier wäre es jedoch schön gewesen, auch ab und an einmal wieder in den ruhigen Erzählstil hinein lesen zu dürfen. Doch Jack, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, denkt nicht so komplex wie ein Erwachsener, das kann er auch gar nicht, denn er ist 10, später 14, dann 15, 16 Jahre alt. Hier aber liegt das nächste Problem. Schon als Jack seine Miss Acacia das erste Mal sieht, singt sie ein Lied über Leidenschaft und Liebende, die sich die Kleider vom Leib reißen und Jack selbst – zehn Jahre alt, Märchen hin oder her – fühlt sich angezogen von dem kleinen Mädchen, kann seine Blicke nicht von ihren samtweichen Lippen nehmen und denkt unentwegt an ihre beiden Knospen. Im Laufe der Geschichte wird gedanklich „geritten“, mit sexy Schatten geübt, von Verführung gesprochen und zahlreiche weitere erotische Anzüglichkeiten eingepflegt, die soweit gehen, dass „Die Mechanik des Herzens“ nichts weiter als der feuchte Trieb eines pubertierenden Jugendlichen zu sein scheint. Alles okay, wenn da nicht dieses „Märchen“ wäre und die Tatsache, dass Titel, Cover, Klappentext und Alter der Protagonisten etwas gänzlich anderes versprechen. Denn wenn ich von Zungen lesen möchte, die sich wie ein Vogelküken anfühlen, das auf der Zunge schlüpft, würde ich wohl eher nach einem anderen Genre greifen. Und Zungen kommen mit all ihren möglichen Fähigkeiten häufig vor. Doch es soll kein erotischer Liebesroman, sondern ein „bezauberndes Liebesmärchen“ sein. Leider ist der Zauber nicht auf mich übergesprungen.

Auch sonst bin ich auf Ungereimtheiten und Verrücktheiten gestoßen, bei denen ich mich fragte, welche Art von Drogen der Autor beim Schreiben eingeworfen hat. Der Roman  „Die Mechanik des Herzens“ bietet eine tolle Grundidee, die dummerweise von der Mechanik eines Autors, der sich nicht so richtig für das Alter seiner Protagonisten, und zwischen einem Märchen und einem erotischen Roman entscheiden konnte, zerstört wird.

Fazit: Die Mechanik des Herzens ist ein Märchen, freizügig, weniger fein, mehr schmutzig und derb. Düster und dunkel, sehr verrückt, nicht immer eindeutig, in jedem Fall sprunghaft und oftmals mit kleinen logischen Fehlern. Der Ausdruck „schräg“ würde den Roman vielleicht am besten kennzeichnen. Und es ist fast nur eine Frage der Zeit, bis sich Tim Burton den Stoff schnappt und daraus einen Film kreiert. Vielleicht dürfen die Charaktere dann auch älter sein. Denn das würde der Story viel besser stehen.

Ob es mir gefallen hat? Ich würde wahnsinnig gerne Ja sagen. Aber Mathias Malzieu hat leider nicht meinen Märchen-Geschmack getroffen.

Mathias Malzieu
Die Mechanik des Herzens
carl`sbooks, Randomhouse, 2012
Originaltitel: La Mécanique du Coeur
Originalverlag: Flammarion, Paris 2007
Aus dem Französischen von Sonja Finck
Paperback, Klappenbroschur, 192 Seiten
ISBN  978-3-570-58508-5
12,99

Das Buch ist auch als eBook erhältlich.

© Cover: Randomhouse

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