Ich bin (fast) off oder Weniger virtuell ist mehr

Webseitenlogo www.nicole-rensmann.deIch vermisse Twitter nicht, Facebook habe ich fast vergessen, an Xing denke ich nicht einmal mehr. Meine zusätzlichen E-Mail-Adressen sind weg. Wer braucht die schon? Hexenapotheken und –kalender werden nicht mehr gepflegt, die Seiten sind gar nicht mehr im Netz. Warum auch?

Ich lebe auch ohne. In der Realität. Das ist dieses Ding, nicht greifbar, nicht existent, aber verdammt noch mal voller Gefühl, Geschmack und Gerüche. Eine Rose duftet nur im Garten. Ein Kuss schmeckt nur, wenn zwei Lippen aufeinander treffen. Pfeffer bringt mich nur zum Niesen, wenn ich ihn beim Kochen benutze, Tränen sind nur in der Wirklichkeit feucht und salzig.

Nein, ich vermisse das virtuelle Leben nicht, das reale gibt mir zwar Schmerz, aber selbst der ist echt.

Sicher, mir fehlen einige Menschen, hinter virtuellen Namen versteckt, die ich auf verschiedenen Cyber-Bahnstrecken traf, aber ich musste mich entscheiden – ich bin ausgestiegen und habe es nicht bereut.

Nie mehr möchte ich mich diesem selbst auferlegten Druck beugen, der nichts weiter darstellte als ein Ego-Pushen, ein Hinterrennen von Retweets, erhofften Antworten auf Postings, sammeln von Verfolgern und Freunden, ständigem virtuellem Präsentsein, um nichts zu verpassen und vor allem nicht vergessen zu werden – virtuelle Streicheleinheiten, die nicht dauerhaft  trösten, nicht fördern und auch nicht heilen, sondern süchtig machen bis zum Kollaps und uns alle verändern, auch wenn wir es im Moment des virtuellen Wahns nicht glauben wollen. Jetzt blogge ich – sonst nichts mehr und auch das nur, wenn es mir danach gelüstet und nicht, um täglich so und so viele Einträge zu haben. Ich blogge drei Mal am Tag oder vier Wochen lang nicht. Ich twittere nicht mehr, Facebook interessiert mich nicht, ich kontaktiere niemanden mehr über Xing, sondern schreibe eine Mail, wenn ich glaube in Kontakt treten zu müssen – so wie früher.

Ich brauche das Internet für Einkäufe, Bankgeschäfte, Recherchen und auch zur Information, aber in Maßen, nicht mehr in Massen.  Ich habe das Internet mit all seinen Vorzügen genutzt, bis ich feststellen musste, dass diese Vorteile auch sehr starke Nachteile mit sich ziehen.

Den größten Cyber-Stammtischen der Welt habe ich den Rücken gekehrt.

Jetzt fühle ich eine Leichtigkeit meines realen Seins. Freiheit! So fruchtig frisch und wunderbar wohlschmeckend. Ein Zurückkehren wird nicht mehr möglich sein, denn diese Freiheit, die ich intensiv nutze, möchte ich nicht mehr missen. Es ist ein Gefühl wie verliebt sein. Ich erlebe das Leben neu und weiß, dass ich nur so in genau das Leben – dem echten Leben mit all seinen Höhen und Tiefen – zurückkehren kann, obwohl es Tage in den letzten Wochen gab, in denen ich es hasste, dieses echte, schmerzhafte Leben. Aber ich mag den Geschmack, den Geruch und das Gefühl und all das, was ich nur im realen Leben verändern kann – an mir und in meinem Umfeld.

Weniger virtuell gibt so viel mehr! Für mich!

  • Lesetipps – völlig real zum Thema: „Ich bin dann mal off“ in DER SPIEGEL 29/2010 (link broken 2020)

Mach es wie die Gebrüder Grimm: Erzähl es weiter.