Outing: Crowdworking – Ja, ich habe es gemacht.

Logo: blog.Nicole.Rensmann.deWir kennen uns ja schon länger, du und ich. Heute erzähle ich dir einmal mehr von mir. Du musst dir das nicht durchlesen, wenn es dir egal ist, aber vielleicht bist du neugierig. Vielleicht entdeckst du auch das ein oder andere zwischen den Zeilen. Das ist okay, aber behalte es bitte für dich.

Crowdworking. Ein blödes Wort, finde ich. Ich nenne es: Texten. Das trifft es, zumindest bei mir. Natürlich gibt es Portale bzw. Agenturen bei denen keine Texte geschrieben werden müssen, manchmal sind es Klicks oder Adressen, die ergänzt und Wäsche, die virtuell sortiert werden muss – das sind die schlechter bezahlten Jobs. Virtuelle Fließbandarbeit von zuhause. Allemal seriöser als Kugelschreiber zusammenbauen.

Warum habe ich mit Crowdworking begonnen?

Aufgrund finanzieller Engpässe.

Ich selbst bin seit 1994 selbstständig und freiberuflich tätig – Versandantiquariat, Schriftstellerin. Finanziell kein Full-Time-Job, ein Nebenberuf, den ich neben der Erziehung der Kinder, Haushalt, ehrenamtlichen Tätigkeiten etc. betrieben habe und noch betreibe – zumindest das Schreiben. Das weißt du ja.

2002 gab es eine schwere Wirtschaftskrise. Mein Mann wurde arbeitslos. Das erste Mal. Vermessungsingenieur – ein Dipl.-Ing., eine Ingenieursfachkraft. Wir hatten uns kurz vorher Eigentum gekauft. Alle Reserven wurden aufgebraucht. 4 Monate, bis zum neuen Job. 2007 folgte die nächste Arbeitslosigkeit – eine weitere Krise. Doch Ingenieure wollte längst keiner mehr. Vermessungsingenieure werden durch Techniker ersetzt – günstiger. 2007 war nicht das schlimmste Jahr meines Lebens, aber es war nah dran. Wir standen vor der Entscheidung: Hartz IV oder Selbstständigkeit.  Wir warfen unsere Fähigkeiten in einen Topf: Kaufmännische, textliche, graphische, technische. Zu meinen freiberuflichen Tätigkeiten kam für uns beide der gewerbliche Zweig dazu.
Doch ein Unternehmen läuft nicht sofort super. Du bekommst nicht gleich 1000 Kunden, die gerne und gut viel bezahlen. Es lief langsam an. Zuschüsse fielen weg, die Ausgaben blieben.
2010/2011 ging es uns finanziell so schlecht, dass wir nicht einmal Wohngeld bekamen – weil wir unter dem Existenzminimum lebten. Ja, so war das.
Ich versuchte schon eine Weile weitere Jobs anzunehmen: Putzen, Zeitungen austragen, 450,- Euro-Jobs. Egal. Doch solche Stellen liegen bei uns nicht auf der Straße. Und eine feste Arbeitsstelle bekam ich gar nicht erst.
Also suchte ich nach Jobs, die ich von zuhause erledigen konnte und die mich nicht daran hinderten, meine Ziele  – die Selbstständigkeit und den nächsten Roman zu schreiben – weiter zu verfolgen.

So wurde ich ein Crowdworker.

Über die Webseite nebenjob.de stieß ich auf verschiedene Portale. Ich meldete mich überall an und testete die Arbeitsweise aus. Darunter auch schlecht bezahlte Klick-Arbeiten. Einmal gemacht. Lehrgeld gezahlt, Erfahrung gesammelt.

Am Anfang hatte ich das Gefühl, ich verrate meine Schreib-Zunft.

Dann nahm ich die ersten Textaufträge an. Ich fühlte mich schlecht. Wie tief war ich gesunken, dass ich für einen Hungerlohn Texte für andere schreibe, die sich dann damit brüsken? Denn ja, es gibt Blogs, die lassen ihre Texte von bezahlten Textern schreiben. Und ja, es gibt große Informationsportale, die einige ihrer Artikel schreiben lassen – nicht von Journalisten, sondern von Content-Textern, den Crowdworkern. Und ja, es gibt Autoren, die lassen Buchbesprechungen für ihre eigenen Bücher schreiben, ohne dem „Rezensenten“ das Buch zur Verfügung zu stellen. Und ja, es gibt im Internet Kommentare, die auf Blog-Einträge antworten, und Kommentare auf diese Kommentare, die nicht von einem realen User geschrieben wurden, sondern von bezahlten Textern. Ich habe es gesehen, ich habe es gemacht. Ich kenne die Aufträge, ich sehe die dazu passenden Artikel im Netz. Manchmal finde ich auch meine eigenen.

Manche Aufträge sind die Wahrheit über das Netz, in dem wir alle gefangen sind.

Mit der Zeit habe ich nur noch für ein Portal geschrieben und mich hochgearbeitet. content.de – freundlich und nett. Hier bekam ich zum Geburtstag ein Kärtchen und zu Weihnachten auch schon mal selbstgebackene Kekse. Kleinigkeiten, aber wichtig.
content.deSehr schnell habe ich nur noch eine bestimmte Art von Aufträgen angenommen – Themenartikel ohne großen Rechercheaufwand. Und später Artikel- und Kategoriebeschreibungen. Mit der höchsten Einstufung, meiner schon durch die Ausbildung geförderten hohen Anschlagszahl  und der Themen-Spezialisierung habe ich im Schnitt 25,- € die Stunde verdient. Manchmal mehr.

2014 habe ich nur noch sporadisch Aufträge angenommen. 2015 bis jetzt noch keine. Meine Accounts sind noch aktiv. Das behalte ich auch so bei. Denn ich weiß nicht, was das Leben noch für mich bereit hält.

Ich würde nicht unbedingt dazu raten, als Crowdworker zu arbeiten, aber es ist besser als sich ein knappes Höschen anzuziehen und an einer Ecke mit dem Handtäschchen zu wedeln. Denn eins ist doch klar: Das Leben hält nicht immer gute Überraschungen bereit. Jeder hat seine Rechnungen, die er bezahlen muss. Und Geld verdienen ist keine Schande.

Ich bin gut. Ich bin schlecht.

Natürlich stellte ich mir damals die Frage: Wieso schaffen es die anderen? Wieso muss ich Content für Fremdfirmen schreiben? Vielleicht bin ich nicht gut genug als Schriftstellerin?  Vielleicht stand mir das Glück auch nur nicht zur Seite. Vielleicht ist aber auch alles gar nicht so wie die anderen es erzählen?
Heute bin ich ein bisschen frecher als andere, aber das Leben – und das hier beschriebene ist nur ein kleiner Teil der Scheiß-Jahre – hat mich zu dem gemacht was ich bin. Manchmal wirke ich arrogant. Das ist die Erfahrung. Manchmal wirke ich gleichgültig – das ist die Angst. Manchmal wirke ich kraftlos – das kommt von den Steinen, die ich aus dem Weg räumen musste. Du kennst das, nicht wahr? Ich weiß. Steine wegräumen bringt Muskeln, macht aber auch müde.

Was habe ich gewonnen?

Alles. Ich habe mich zurückgewonnen. Ich habe vorher gewusst, dass im Internet viel gelogen wird, aber nun weiß ich, dass der Fake noch größer ist. Ich habe Einblicke in die journalistische Arbeit zahlreicher großer Informationsportale erhalten – mehr als mir lieb ist. Ich weiß nun, dass Firmen für Blogkommentare bezahlen und Kundenstimmen gekauft sind.  Ich weiß auch, dass manche Verlage und Autoren, dass Firmen und Unternehmen für gute Besprechungen ihrer Werke oder Waren zahlen. Mit der Zeit habe ich gelernt, diese Texte im Netz zu erkennen. Alles, was ich vorher ahnte, habe ich bestätigt bekommen.
Ich habe mir ein Wissen angeeignet, mit dem ich heute meine Geschäftspartner und Kunden überraschen kann. Dieses Hintergrundwissen nimmt mir keiner mehr. Wissen, das ich – trotz allem Frust  – nicht mehr missen möchte.

Die perfekte Beschreibung eines Artikels hat mir auch für meine Arbeit als Schriftstellerin und Media-Managerin geholfen. Ich kenne mich jetzt viel besser mit Keywords und Suchmaschinenoptimierung aus und weiß wie ein Text im Internet richtig aufgebaut sein sollte, dank Crowdworking.

Manches Schlechte hat am Ende auch sein Gutes.

Dumping oder nicht?

Menschen nutzen die Möglichkeit Geld zu verdienen. Das ist nicht verwerflich.
Verwerflich sind die Agenturen, die dem Autor – dem Texter – zu wenig für seine Arbeit bezahlen. Fragwürdig sind auch die Auftraggeber, die zur günstigsten Agentur gehen und einen perfekten Text erwarten, für den sie so wenig bezahlen, dass sie selbst nicht einmal dafür aufstehen würden.
Doch wenn wir ehrlich sind: Gering bezahlte Jobs gibt es nicht nur bei Crowdworking, sondern überall – in allen Branchen. Dabei ist es auch egal, ob du studiert oder deinen Abschluss nicht geschafft hast.

Ich glaube, wenn wir alle mehr Rücksicht aufeinander und Verantwortung füreinander übernehmen und die Leistung des anderen entsprechend honorieren würden, dann wäre unsere Welt besser und manche Probleme kleiner. Dann könnte sich die Politik um Angelegenheiten kümmern, die aktuell dringend nötig sind. Doch leider nehmen wir uns alle zu wichtig und stellen unser Anliegen und unsere Wünsche über die des Anderen.

Dabei ist es wichtig, dass wir alle füreinander miteinander arbeiten, denn unsere Wirtschaft, unser Leben ist ein Kreislauf. Kümmern wir uns nur um uns selbst, zerbricht der Kreislauf irgendwann. Dann bleiben nur noch die großen Konzerne. Aber nur mit all den kleinen Leuten können diese groß werden. Mit der Putzfrau, die jede Nacht kommt, um die Räume zu säubern, mit der Auspackhilfe, die all die neuen Waren ins Regal stellt – oder mit den Crowdworkern, die Texte schreiben und das Internet mit Worten beleben.

Warum muss es Crowdworking sein?

Das muss es nicht. Doch das Angebot ist da. Crowdworking könnte die Arbeit der Zukunft sein.

Ich sehe für den Auftragnehmer – den Crowdworker – Vorteile.

  • Arbeiten von Zuhause
  • Zusätzliche Verdienstmöglichkeit
  • Anonymität
  • Freie Zeiteinteilung

Der Auftraggeber ist allerdings in der Pflicht, fair zu bezahlen und die Aufträge entsprechend zu vermitteln. Hier fehlt es manchen Auftraggebern an Führungsqualitäten und Ausdruck, denn viele Beschreibungen sind oberflächlich oder gar nicht vorhanden.  Der Auftragnehmer muss nachfragen, der Zeitaufwand wird höher.

Vorteile für Unternehmer

  • Günstiger Einstieg für Start-ups
  • Zwischenschalten einer Agentur anstelle von Einstellungsgesprächen
  • Platz für andere Ressourcen im Büro wegen
  • Outsourcing der Textaufträge

Der Unternehmer, der eine Agentur in Anspruch nimmt, sollte jedoch fair bezahlen und bei Zufriedenheit die Arbeiten mit einem Bonus honorieren – oder sogar den Texter fest engagieren.

Heute stehe ich auf beiden Seiten.

In diesem Jahr suche ich das erste Mal Freiberufler, die unser Team ergänzen. Keine Texter – texten kann ich selbst -, sondern einen Social Media Assistent und einen Server-Administrator. Gespräche werden bereits geführt. Und das ist nicht alles.

Alles, was ich im Leben gemacht habe, hat mir neue Chancen geboten, mir Ideen und Einblicke geschenkt, die ich nie gehabt hätte, wenn ich frustriert in der Ecke gesessen und darauf gewartet hätte, dass jemand kommt und den Mist für mich wegräumt, der sich vor meinen Füßen versammelt hat.

 

Am Montag stellte ich mich bei mir zuhause den Fragen von Achim Pollmeier. Der Beitrag über Crowdworking wird am Donnerstag um 21.45 h in der Sendung „Monitor“ (ARD) ausgestrahlt. (Genaues Datum steht aufgrund der aktuellen Geschehnisse nicht fest. )

 

Letzte Aktualisierung: 24.02.2017:

Seit ein paar Tagen arbeite ich wieder bei content.de – nicht aufgrund finanzieller Engpässe. Vielmehr hatte ich keine Lust mehr mich ständig um Auftraggeber zu kümmern, hier sind die Aufträge gelistet, ich suche sie mir nach meinem Können und Zeitmanagement aus. Ich schätzte dort stets die Anonymität – diese wird jedoch nicht mehr gefragt. Jetzt will der Auftraggeber wissen, wer der Autor ist, selbst gibt er sich aber nur selten zu erkennen. Das empfinde ich noch als Problem.
Aber die Zeiten verändern sich – immer, und überall!

 

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