Rezension: »Später« von Stephen King, Heyne Verlag

© Cover: »Später«, Stephen King / Heyne Verlag

Immer wenn ein neuer Roman von Stephen King auf den Buchmarkt kommt, erinnere ich mich an ein Interview, dass SWR im Februar 2002 mit mir führte, nachdem Stephen King gesagt hatte, er würde mit dem Schreiben aufhören. Ich wollte das nicht glauben und sollte recht behalten. Zuverlässig versorgt er seine Fans mit Geschichten – jedes Jahr. Zugegeben, seine Storys haben eine andere Qualität. Die meisten Altleser, zu denen ich mich auch zähle, kommen mit den aktuellen Romanen oftmals nicht zurecht. Das liegt sicherlich auch daran, dass wir uns weiter oder in eine andere Richtung entwickelt haben. Doch jedes Buch wird gekauft, gelesen und manchmal abgebrochen.

»Später« ist mit 304 Seiten relativ kurz für Stephen King und lässt sich in einem Rutsch lesen.

Spoileralarm!

Inhalt

Jamie Conklin kann tote Menschen sehen und muss sich einen Teil seines Lebens von der Seele schreiben. Aus der Ich-Perspektive erzählt er dem Leser seine Geschichte, die beginnt, als er sechs Jahre alt ist. Seine Mutter Tia – eine Literaturagentin – kennt sein Geheimnis, beide behalten es für sich, bis der Bestsellerautor Regis Thomas stirbt, dem sie ihr angenehmes Leben zu verdanken haben. Jamies Mom steht nun vor einem finanziellen Desaster. Sie bittet ihre Freundin Liz Dutton, eine Polizistin, um Hilfe und nutzt Jamies Gabe, um ein letztes Mal mit Regis Thomas zu sprechen.
Leider ist Liz nicht so loyal wie Jamies Mutter dies gehofft hatte, das wird Jamie später noch völlig andere Probleme bereiten. Die Frauen trennen sich, was Liz nicht daran hindert, Jamie auszunutzen und ihn in einen Fall reinzuziehen, um sich eine reine Weste zu verschaffen. Das erste Mal muss sich Jamie mit einem Toten unterhalten, der durch und durch böse ist, und das bringt ihn in ungeahnte Schwierigkeiten. Unterstützung erhält er von Mr. Burkett, einem alten Nachbarn. Als das Leben seiner Mutter und seines, Jamie ist inzwischen 15 Jahre alt, kaum besser sein könnte, taucht Liz wieder auf.

Zur Idee

Gewisse Parallelen zu Dean Koontz Lieblingsfigur Odd Thomas, dem Film »The Sixth Sense« mit Bruce Willis und Stephen Kings eigener Geschichte »Mr. Harrigans Telefon« aus »Blutige Nachrichten« sind nicht zu verleugnen, aber vermutlich purer Zufall.

Auf den ersten 150 Seiten scheint es, als habe Stephen King die Idee verarbeitet, was mit seinem unvollendeten Werk geschieht, wenn er plötzlich tot umkippt. Eine nicht unberechtigte Frage. Doch dann entwickelt sich alles anders.

Zu Beginn bereitet Jamie seinen Leser darauf vor, dass er häufig das Wort „später“ verwendet und es sich um eine Horrorstory handelt. Beidem kann ich nur bedingt zustimmen. Tatsächlich hätte „später“ zu Beginn intensiver als Stilmittel verwendet werden dürfen. Und immer dann, wenn die Horrorstory erwähnt wird, geht es um Tote, die nicht eines natürlichen Todes gestorben sind, oder um das, was der Mensch einem anderen zufügen kann. Das wirkt ein bisschen platt. Doch Jamie, der hier als Erzähler und Autor fungiert, gelingt es sympathisch und authentisch zu erzählen und sich selbst in Frage zu stellen oder – an den richtigen Stellen zu loben, was jegliche Kritik zunichte macht. So wirkt der Text zu Beginn holprig, am Ende – dann klappt das auch mit dem „Später“ als Stilmittel – flüssiger, was Jamie im Text selbst erwähnt.

Das Buch enthält kein Vor – oder Nachwort, was für einen Roman von Stephen King eher ungewöhnlich ist. Erst am Ende wird deutlich, dass beides überflüssig wird. Die Geschichte liest sich wie ein 304-Seiten langes persönliches Vor-Nach-Wort an den Leser und das macht »Später« zu einem Kleinod.

Fazit

In »Später« verknüpft Stephen King eine nicht unbekannte Idee mit Horror und Crime, legt ein paar aktuelle Themen dazu und endet mit einer Überraschung.
Ein Pageturner mit kleinen Schwächen, und doch ein kleines Juwel.
Lesenswert!

Stephen King
»Später«
Hardcover mit Schutzumschlag, Lesebändchen
Heyne Verlag, 303 Seiten
ISBN 978-3453273351
22 €

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