Interview: Carsten Sommer, Januar 2023, phantastisch! 89 – jetzt hier zum Nachlesen

Ende 2022 sprach ich mit Carsten Sommer. Das Interview des Puppenmachers erschien im Januar 2023 in der phantastisch! #89, das du nun hier nachlesen kannst. Du weißt gar nicht wer das ist? Ich bin sicher, seine Figuren kennst du.

Impressionen

Im Magazin findest du das Interview von Seite 54 – 60 mit vielen Fotos. Mein Tipp: Die phantastisch! im Original kaufen, denn Print ist in. Alternativ gibt es das komplette Magazin auch als PDF zum Download für z.B. deinen Kindle.

Das Interview

Carsten Sommer: Er haucht den Figuren von Walter Moers Leben ein

Interview von Nicole Rensmann

Den Namen Carsten Sommer hat vielleicht noch nicht jede:r gehört, aber seine Puppen kennen alle.  Carsten Sommer, Jahrgang 1968, lebt und arbeitet in Köln-Ehrenfeld. Er ist kein herkömmlicher Puppenbauer – er ist DER Puppenbauer, den Zamonien-Fans und Käpt’n Blaubär-Freunde kennen sollten. Carsten Sommer genießt das Privileg, die geistigen Schöpfungen von Walter Moers dreidimensional gestalten zu dürfen. Warum ausgerechnet er? Weil er es kann! In Zamonien lautet sein Name Tresam C. Sermon.

Seit mehr als dreißig Jahren arbeitet er mit Walter Moers zusammen. Ihrer kongenialen Zusammenarbeit verdanken wir eine Vielzahl an menschengroßen Puppen und sammelwürdigen Figuren. Aufstellfiguren wie die Schreckse Inazea Anazazi, der Schattenkönig, Dr. Hachmed Ben Kibitze, Buchlinge mit und ohne Bücherberg – von Walter Moers erdacht, von Carsten Sommer in 3D fast zum Leben erweckt. Carsten Sommer ist der Modelleur vom Kleinen Arschloch (in verschiedenen Positionen), vom Käpt´n Blaubär, Hein Blöd und dem weltbekannten zamonischen Schrifstellerlindwurm Hildegunst von Mythenmetz. Und wer kennt sie nicht, die Schatztruhe mit Käpt’n Blaubär und Hein Blöd – Spardose oder Anspitzer, zum Weltspartag von der Postbank verschenkt? Auch die sind von Carsten Sommer.

Darüber hinaus arbeitet er für TV-Sender, wie NDR, VOX oder SWR und kreierte für verschiedene Firmen, wie z.B. FERRERO, die ihre Produkte durch witzige Puppen bewerben lassen wollen. Dem Skelett im Video der Band THE COURETTES half er auf die Welt. Und nicht zu vergessen die politischen Karikaturen von Oskar Lafontaine und Jochen Vogel, die in den achtziger Jahren im WDR für HURRA DEUTSCHLAND tanzten.

Für Walter König kreierte er die Comicfigur Luigi Mackeroni in 3D und Prinz Eisenherz für Carlsen Comics. Carsten Sommer ist ein Künstler hinter den Kulissen. Es wird Zeit, ihn nach vorne zu holen

Carsten, vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview nimmst. Lass uns über deine Arbeit reden. Mich interessiert brennend, wie du auf die Puppen gekommen bist.

Was war dein Schlüsselerlebnis, die Ideen anderer Künstler plastisch darzustellen?

Carsten: Um ehrlich zu sein, habe ich erst sehr spät damit begonnen, fremde Charaktere zu modellieren. Ich habe bis dahin vor allem immer meinen eigenen Kram modelliert.
Monster, Dinosaurier, dies und das.
Tatsächlich waren das die ersten Blaubärpuppen in den Achtzigern und das KLEINE ARSCHLOCH – Figurenmerchandising, beides Walter Moers-Themen, wo ich dann fremdging.
Am kleinen Arschloch hatten sich damals im Auftrag des Eichborn-Verlags zuvor schon so einige versucht, waren aber allesamt gescheitert.
Das Problem bei dieser Art Moers-Figur ist u.a., dass Frontansicht und Profil nicht zusammengehen, zumindest nicht im – mittlerweile klassischen – MOERS-Comicstil.
Walter kam dann auf die Idee, mich das mal versuchen zu lassen.
Zuvor war ich als reiner Puppentyp bei ihm abgespeichert, was aber ein klarer Irrtum war.
Ich hab´s dann direkt hinbekommen.
Seitdem dämmerte mir, dass ich ein Händchen für den Moers-Stil habe. Der Rest ist Geschichte.
Was ich generell gut kann, ist das Adaptieren fremder Stile, neben meinem ureigenen, den ich unabhängig weiterentwickelt habe.
Auch sehr gut von der Hand geht mir u.a. ebenso der Stil von Ralf König.

Hattest oder hast du ein Vorbild aus der gestalterischen Branche?

Carsten: Ach, ich denke, da gibt es durchaus sehr viele Einflüsse. Gute Leute gibt es hier und da in der Spielzeugbranche.
Auch wichtig waren die Art und Weise wie meine damaligen Helden in der Visualeffects-Szene modelliert haben. Leute wie Rick Baker, Rob Bottin oder die Crew des ehemaligen Stan Winston Studios (alles Make-up-und Animatronik-Bereich) oder aber Stop-Motion-Künstler wie Ray Harryhausen, Phil Tippet, Jim Danforth, Randy Cook usw. haben mich ab den Achtzigern etwas geprägt, denke ich.
Und einige gute Comic-Skulpturisten der Vergangenheit sind auch dabei: Jean-Jaques Pigeon (Tintin-Skulpturen), Studio Leblon Delienne oder Kent Melton.

Gibt es für deinen Berufszweig eine Ausbildung oder ein Studium? Wie sieht es in diesem kreativ-künstlerischen Handwerk mit dem Nachwuchs aus?

Du willst das Interview später lesen? Dann lade dir das PDF hier herunter.

Carsten: Tja. Als ich begonnen habe, war das schwierig. In den Achtzigern gab es da nix. Das ganze Feld war komplett Wilder Westen (»Wir hatten ja nix.«). Alles, was wir brauchten, mussten wir selbst herausfinden und uns beibringen. Da ich ja aus dem Modelltrickbereich komme, war das sehr komplex: Skulptur, Kunststofftechnik, Latexschaumguss (seehr tricky), Formbaumethoden, Modellbau, Feinmechanik, Filmarbeit, Design etc. Viele Anforderungen, alles in allem. Heute ist das anders, man kann Trickfilm studieren, zum Beispiel in Ludwigsburg oder Potsdam. Das deckt ein wenig ab. Aber auch heute gilt: Ohne enormen Eigenantrieb bringt das alles nichts. Man muss das wollen, die ganze Nummer an sich ist stressig. So Typen wie ich sind eine aussterbende Art.

Du lebst in Köln, da liegt es nahe zu fragen, ob du auch Wagen für den Kölner Karneval kreiert hast?

Carsten: Nee. Die Frage ist schnell beantwortet: Ich mag Karneval tatsächlich überhaupt nicht. Ich bin das ganze Jahr über lustig, nur nicht an diesen Tagen. Deshalb ist das von vornherein ausgeschlossen. Ich bin gerne in Köln, aber in Wahrheit bin ich ein schlechter Kölner.
Alle drei wesentlichen Merkmale Kölns sind mir total egal:
Karneval, der 1. FC und der Dom.
Aber ich darf das ungestraft finden, denn ich komme vom Niederrhein aus ´ner Bergbaustadt, quasi Ruhrgebiet.

Dein Steckenpferd sind Stop-Motion-Animationen. Ich denke dabei an »Wallace & Gromit«, »Frankenweenie«, »Caroline«, »Isle of Dogs« oder »Corpse Bride«. Passt das? Was fasziniert dich daran? Gibt es einen Film, den du empfehlen würdest?

Carsten: Alles gute Beispiele. Sehr ausschlaggebend für mich waren damals die Filme von Ray Harryhausen und natürlich STAR WARS. Allesamt im Grunde etwas naive B-Pictures, aber voller phantastischer Kreaturen. Das war damals DAS Spektakel. Besser konnte das zu der Zeit niemand machen.
Heute hat jede drittklassige Fernsehserie mehr überzeugende Wesen als damals die dicksten Filme, aber alles ist CGI. Dennoch mag ich die Technik nach wie vor.
Der Look von Stop Motion hat für mich etwas Spektakuläres, Unwirkliches. Etwas, was nicht von dieser Welt ist.
Obwohl toll animiert, bleibt das Ergebnis stets surreal.
Harryhausen selbst beschrieb den Stopframe-Look mal recht gut, indem er meinte, Stop-Motion hätte eine #dreamlike quality#. Das trifft es exakt, wie ich finde.
In seine Filmwelten passte das hervorragend, denn es waren stets etwas märchenhafte Geschichten. In modernen Blockbustern kann man die Technik nur noch bedingt als Effektmedium einsetzen.
Eine Ausnahme bilden hingegen die reinen Stopmotion-Filme, wie die zuvor genannten.
Die besitzen mittlerweile eine irrsinnige Raffinesse, besonders im Fall von LAIKA-Studios, so dass man es kaum noch begreift. Da sieht es fast schon bisweilen nach Computeranimation aus, so perfekt ist das.
Aber: Es sieht immer etwas anders aus, wenn man ein Auge dafür hat.

Ich würde zu den oben genannten Filmen unbedingt noch »Kubo« (von LAIKA – mein Favorit), »Paranorman« (LAIKA), »Boxtrolls« (LAIKA) – der allerdings nicht jedem gefällt – und »Nightmare before Christmas« von Tim Burton erwähnen.
Auch die Ray Harrryhausen-Filme bieten einiges an animierten Highlights:
»Sindbads siebte Reise«, »Sindbads gefährliche Abenteuer«, »Jason und die Argonauten« und »Kampf der Titanen« sollte man mal gesehen haben, schon alleine filmhistorisch betrachtet.

Du hast  für viele TV-Sender, für Bands und Firmen gearbeitet, aber eine Person begleitet dich seit dreißig Jahren: Walter Moers. Verrate uns doch bitte erst einmal: Gibt es ihn wirklich oder ist er eine Erfindung von Hildegunst von Mythenmetz?

Carsten: Es gibt ihn.
Ich schwöre.
Das mysteriöse Phantom ist elf Jahre älter als ich und anders, als die meisten Leute ihn sich wahrscheinlich vorstellen. Und das ist vermutlich genau, was er möchte.
Eine Sache verrate ich dennoch: Er hat tatsächlich drei Köpfe, aber nur zwei Gehirne.
Der dritte ist reine Reserve.

Da das nun geklärt ist. Kommen wir zur nächsten Sensation. Du bist kein „waschechter Moers-Fan“, seine Welten und dein Stil passen jedoch perfekt zusammen. Du bist nicht inhaltlich befangen, hast du mir erzählt und kannst analytisch auf die fantastische Welt eines Walter Moers schauen, so gelingt es dir zamonische Gedanken, von einer schlechten Idee für das Blaubär-Musical bis hin zum Kleinen Arschloch in 3-D, gießen bzw. bauen zu können. Kommt Walter Moers zu dir und sagt, ich möchte ein Booknook oder einen Buchling oder bist du es, der ihn auf die Idee bringt, seine Charaktere modellieren zu lassen und seine Leserschaft damit an den Rand des finanziellen Ruins zu bringen?

Carsten: Das ist nicht ganz einfach zu beantworten.
Die Hildegunst 2 – Statuen habe ich tatsächlich mal von mir aus angestoßen, nachdem ich zuvor eine Zeitlang Pause für eigene Dinge brauchte.
Meistens kam nämlich der Anschub zuvor immer von ihm.
Das aktuelle Booknook war eine Grundidee von Walter (Booknooks kannte ich zu der Zeit noch gar nicht ); ich wollte eigentlich eine weitere Skulptur auf´s Gleis setzen. Ich habe mich dann auf das Abenteuer eingelassen und Motivideen vorgeschlagen, von denen ich dachte, dass sie die Zamonienessenz transportieren könnten.
Schnell haben wir uns auf das nun bekannte Motiv geeinigt.
Ich hatte da tatsächlich ein wenig freie Hand.
Dann begann ich schlichtweg mit dem Prototypen, Walter bekam Fotos und stieg ein … hier und da ein Vorschlag, von ihm kam zum Beispiel der Look der Ornamentik auf den Regalwangen und so weiter.
In solchen Phasen tauschen wir uns immer sehr intensiv aus.
Das nächste Motiv (Booknook 2 … es wird kommen ) hat Walter dann unter Eindruck der fertigen Prototypen des Booknook 1 dann komplett selbst entworfen; was bedeutet, dass ich in dem Fall wieder mehr der reine Umsetzer dieses Motivs sein werde.
Was schwer genug ist.
Meistens ist aber von vornherein klar, was er will. Dann versuche ich, das möglichst gut zu treffen.
Manchmal aber auch nicht, dann fange ich an und Walter macht wichtige kreative Vorschläge.
Die Mythenmetzpuppe war so ein Fall.
Walter empfand seine allererste gezeichnete Fassung des Charakters Mythenmetz ( damals noch mit Flügeln, was ihn mehr als Drachen statt Dinosaurier definierte ) noch nicht als der Weisheit letztem Schluss.
Meist ist die Sache ja klar und es gibt seine Illustration zuerst; bei der Mythenmetzpuppe war die Situation aber die, dass Walter ein wenig auf meinen Input gesetzt hat, um die Figur zu verändern und neu und etwas jünger zu definieren.
Ich sollte recht frei rangehen und nur ein wenig das bereits Existierende berücksichtigen.
Ich habe dann angefangen zu modellieren, wir besprachen uns zwischendrin regelmäßig, und das Ergebnis ist jetzt der Look von Mythenmetz auf dem Cover des TRÄUMENDEN BÜCHER-Buchs.
So läuft das manchmal.
Ping-Pong.

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Vielen lieben Dank!

Walter Moers erfindet fantastische Figuren, du kreierst daraus Puppen, und die Puppenspieler hauchen diesen 3-D-Kreationen Leben ein. Was ist das für ein Gefühl, wenn Hildegunst von Mythenmetz oder Käpt‘n Blaubär vor dir stehen und sich mit dir unterhalten?

Carsten: Och, da bin ich unromantisch. Das greift bei mir nicht mehr. Ich bin da zu professionell versaut, glaube ich. Der Kopf bleibt immer vor dem Gefühl.
Tatsächlich bin ich mehr der nüchterne Typ. Ich glaube grundsätzlich nicht, dass Puppen ein Leben entwickeln. Ich achte eher darauf, ob etwas funktioniert oder eben nicht funktioniert, oder etwas dazwischen.
Funktionieren kann das alles im Ergebnis aus meiner Sicht ohnehin in vollem Umfang nur für Leute, die vorher nicht in die Sachen involviert waren. Ich sehe vor allem das Modell in den fertigen Bildern, die Puppe, die gespielte Performance. Ich bin da recht illusionsimmun.
Für mich besteht der Spaß, daran zu sehen, wenn die Dinge an ihrem Platz im Film funktionieren und möglichst genau das erzeugen, was gedacht war.
Das gilt übrigens auch für die Werke anderer.
Ich sehe stets wie die Dinge aufgebaut sind, als dass mich eine Illusion davonträgt.
Einzig computeranimierte Effektszenen, wo ich zunehmend nicht mehr durchsteige, haben bei mir ein wenig das Potential, das zu erreichen.
Aber dann greift doch schnell wieder dieses: »Hm. Grade keine Ahnung. Aber: Ist auf jeden Fall digital.« Und schon bin ich trotzdem wieder an dem Punkt.
Deswegen funktioniert bei mir Werbung nicht.
Machste nix.

Bei der Feier zum 30-jährigen Jubiläum von Käpt‘n Blaubär hast du 2021 bei der »Sendung mit der Maus« gesagt, dass deine Lieblings-Blaubär-Lügen-Geschichte »Die drei Bärchen und der blöde Wolf« ist. Walter Moers hat für das Drehbuch den Bayrischen Fernsehpreis erhalten. Dieser 45 Minuten lange Film ist die Essenz des Blaubärs, hast du gesagt. Was macht »Die drei Bärchen und der blöde Wolf« zur Blaubär-Essenz? Ist es die Musik, der Gruselfaktor, wenn der blöde Wölf – eine Hein Blöd Adaption – zum Werwolf mit rotglühenden Augen wird, oder doch die attraktive blaue, reimende Fee?

Carsten: Das hat eine Menge Gründe:
Erstmal ist für mich persönlich interessant, wie das alles zustande kam.
Das habe ich bisher noch nie verraten, aber es war tatsächlich so, dass ich das Blödwolf-Drehbuch ein Jahr im Rucksack hatte.
Ich hatte es von Walter als Ergebnis eines Gesprächs bekommen, und seitdem dann mit mir rumgeschleppt.
Weder ich noch Walter hatten geglaubt, dass der Sender das umsetzen würde. Aber die Idee war, dass ich das mal aus dem Hut ziehen könnte, wenn sich die passende Gelegenheit ergeben würde.
Beim Nachgespräch meiner eigenen drei Gürteltier-Folgen mit der Redaktion kam dann der Augenblick. Das Thema war: Blaubär kam nicht mehr weiter. Ratlosigkeit. Für mich der Moment, das zerfledderte Drehbuch auf den Tisch gleiten zu lassen.
Der Rest ist Geschichte.
Schon am nächsten Tag wurde direkt verhandelt.
Walter war wieder an Bord und wir haben für weitere vier Jahre die allerbesten Sachen gemacht, die regelmäßig mit Preisen bedroht wurden, bis das Licht dann endgültig ausging.

Für mich und die ganze Käpt´n Blaubär – Serie ist der BLÖDWOLF in dem Zusammenhang der wichtigste Film.

Zum einen war der Aufriss groß, und zwar auf jeder Front. Sei es der musikalische Aufwand mit Thomas Pigor an Bord, der enorme Kulissenwahnsinn, der riesige Silberwald, der Postproduktionsaufwand bezüglich der visuellen Spezialeffekte, die vielen erforderlichen neuen Puppen. Ich habe sogar noch eine nötige Cadillac-Miniatur gesponsort, um die Gesamtkosten etwas zu senken, auch wenn das in der Auswirkung am Ende eher symbolisch war.
Und das alles für eine gute Story von Walter Moers.

Zum anderen kam für mich bei dieser Produktion endlich alles zusammen. Alles war auf dem Peak.
Und die Puppenspieler konnten zeigen, was sie mittlerweile draufhatten.
Die Figuren waren ja nach all diesen Jahren fast schon so etwas wie ihre zweite Natur geworden.

Danach folgten weitere gute Filme, phantasievolle Mini-Musicals, ein zweiter Langfilm als kreatives Zweitauswertungsmanöver der vorhandenen Bauten in Gestalt des PIZZAMÄRCHENS; alles Walters Ideen und Bücher.
Nie zuvor musste ich so viele aufwendige Puppen in so kurzer Zeit liefern!
Und in Wahrheit hatte ich inoffiziell noch so einige andere Sachen mit zu klären, die ich zusätzlich am Hals hatte. Der besagte Miniaturcadillac für nötige Modellshots war nur ein weiteres schweres Gewicht in dieser Zeit, das an mir zog.

Alles in allem war das ganze Projekt fast schon wie eine lange, anstrengende Geburt, die sich aber mit Blick auf das Ergebnis enorm gelohnt hat.
Am Ende bekam Walter ja verdientermaßen eine Grimmepreis-Nominierung und letztendlich den Bayrischen Fernsehpreis für das Drehbuch.

Die Blaubär-Filme sind aufwendig. Das Magische Essen auf Rädern ist großartig detailliert. Wie lange arbeitest du an einem sprechenden Schweinekopf Karl-Heinz oder an einer singenden Muschel? Du machst auch die Mechanik für die Augen, den Mund, die Bewegung?

Carsten: Alsooo.
Das ist sehr verschieden und gar nicht so leicht zu sagen, weil ich in solchen Fällen alles gleichzeitig angehe.
Ich schätze, das Schwein hat mich alles in allem zehn Tage gekostet, die Muscheln gingen flott, drei bis vier Tage. Wartezeiten beim Formbau mal rausgerechnet. Und, ja, die Mechaniken konstruiere ich meist selbst. In der Blaubärwelt habe ich das ab dem Jahr 2000 wieder selbst übernommen, davor war das aus diversen Gründen mal eine Zeitlang extern rausgegeben.
Manchmal brauchen Figuren auch Wochen oder Monate. Das ist schwer über einen Kamm zu scheren und hängt von vielen Faktoren ab.

»Ich bin eine Fee, sag bloß nicht nee!« – wir sind immer noch bei »Die drei Bärchen und der blöde Wolf«
Was sind deine drei Wünsche?

Carsten: Na ja … Hat fast alles – bis auf einen Punkt –  nix mit meinem Job zu tun.

Egal. Raus damit.

Carsten: Wunsch 1: Dass ein paar verhältnismäßig wenige Bekloppte endlich mal aufhören, die anderen Leute auf der Welt zu massakrieren und zu drangsalieren, nur weil sie selbst Kopf-Probleme haben.
Wunsch 2: Weniger SUVs. (Da mache ich mir jetzt Feinde. Egal.)
Wunsch 3: Ökologisch unbedenklicher Gießkunststoff, der was kann und Polyurethan ersetzt.

Und was ist deine Essenz? Was macht Carsten Sommer den Puppenbauer aus?

Carsten: Das kann ich selbst nur schwer beurteilen, das müssten andere machen.
Ich kann nur sagen, dass ich  recht hohe Ansprüche an mich selbst habe, und von mir selbst denke, dass immer noch mehr geht. Das alles ist ein Fass ohne Boden.
Jedes Projekt bedeutet Dazulernen.
Es hört nie auf …

Hast du eine Lieblingspuppe unter deinen eigenen Kreationen, unabhängig davon, wer die Idee zuerst im Kopf hatte?

Carsten: Ich würde das nicht nur auf Puppen begrenzen, sondern die Frage auf Figuren-Modelle ausweiten.
Die Aliens aus meinem eigenen Harryhausen-Kurzfilm gefallen mir immer noch recht gut, Fafnir aus meinem Drachentöter-Projekt, einige Figuren aus meiner eigenen Serien-Idee in Entwicklung ebenso. Bei Figuren, die nicht meine Ideen sind, wären: Das nackte KLEINE ARSCHLOCH aus der Spielzeugserie, die SCHATTENKÖNIG-Maquette, die GÖRING-Maquette für den ADOLF-Filmteaser. Das aktuelle BOOKNOOK ist eins meiner Lieblingsprodukte. HILDEGUNST 2 ist ganz klar ebenso unter meinen Favoriten zu finden. Die KOMMISSAR MACKERONI – Minifigur für Ralf König mag ich immer noch.
Und zurück zu den Puppen: Den BLÖDWOLF / BÖSWOLF an sich finde ich nach wie vor gelungen sowie MAUI und KAUI aus den MOERS-Minimusicals, beide von Walter entworfen.
Aus der alten Zeit ist bei mir die Jochen Vogel – Politikerpuppe für »Hurra Deutschland« hoch im Kurs. Weiss auch nicht so genau, warum.

Gibt es eine Figur, eine Gestalt aus Film, Literatur, TV, die du gerne in 3D gestalten und ihr somit ein Gesicht geben möchtest?

Carsten: Da ich meistens den Antrieb habe, etwas unbedingt machen zu wollen, vor allem bei meinen eigenen Themen, sind das deshalb eigentlich immer meine gerade aktuellen Ideen.Ich bin in Wahrheit gar nicht so sehr der geborene reine Ideen-Umsetzer.
Eine Ausnahme gibt es vor allem bei Walters Figurenwelt.
So habe ich zurzeit – neben anderen – den kleinen Rumo aus eigenem Antrieb auf dem Zettel. 

Wo „leben“ deine Puppen, wenn sie nicht für einen Auftritt oder einen Dreh benötigt werden?

Carsten: Ganz banal:
Im Lager, in Boxen, im Container, ein paar auf einem Regalboard. Auf jeden Fall sind alle Puppen lichtscheu, denn UV-Licht ist sehr schlecht für Gummipuppen.

Robbi aus der Neu-Real-Verfilmung von »Robbi Tobbi und das Fliwatüüt« (2016) mit Bjarne Mädel, Alexandra Maria Lara und Sam Riley stammt aus deiner Werkstatt. Für den Film hast du verschiedene Versionen gebaut. Gedreht wurde teilweise in Köln, warst du mit am Set oder übergibst du dann dem Regisseur deine Puppe inklusive Gebrauchsanleitung?

Carsten: Ich bin auf jeden Fall immer mit dabei, um meine Puppen, Kreationen oder Modelle zu betreuen.
Ich muss entscheiden, was wir wie machen, was nicht geht, die Roboter beschützen, vorbereiten, reparieren, umbauen, babysitten.
Spezielle Dinge realisieren. Vor Ort Vorschläge machen. Den Kopf hinhalten.
In dem Fall des Robbi – Films habe ich zusätzlich als einer von fünf Spielern die Gesichtsmimik gesteuert.
Da das mein Projekt war, war ich der Ansprechpartner der Regie und hab im Zweifel die Dresche eingesteckt. Bei Robbi war das Team ziemlich groß.
Ich habe zu Beginn alleine angefangen und die Maquette, einige weitere Konzeptmodelle und eine Testpuppenbüste hergestellt,als es dann losging, musste ich ein Team auf die Beine stellen. Großes Projekt, Zeit hingegen: Knapp. Das geht dann nur noch mit vielen.
Die Steuerungen kamen von einem guten Modellbauer aus Berlin, Nico Nitsch.
Er und seine Jungs waren essentiell für die Steuerung der Roboter nötig und auch bei den Drehs mit dabei.
Ich selbst bin in Wahrheit mehr der rein mechanische Typ: Kabelzüge, Zahnräder usw.
Elektronik ist nicht so meins: Alles, was über LEDs hinausgeht, gebe ich stets raus.
Soviel sag ich noch:
Ich war tatsächlich sehr unglücklich bei diesem Projekt und hatte wenig Spaß.

Deine Webseite ist ein Quell deiner Kreativität. Darunter befinden sich der Ohrwurm und das Gürteltier, beide waren oder sind für eine eigene Serie mit dem WDR. Um was geht es da?

Carsten: Das war ursprünglich eine Idee von mir, die nachher mit drei weiteren Partnern geteilt wurde.
Es ging oberflächlich um ein Gürteltier als Hauptakteur mit einigen Nebenfiguren.
Die Sache hatte einen Clou, den ich aber weiterhin für mich behalte, weil die Grundidee noch immer verwendbar ist. Wir haben die Pilotfolgen mit dem WDR gemacht.
Am Ende kam das komplette Gegenteil von dem raus, wohin die Reise aus meiner Sicht hätte hingehen müssen.
Für mich war das ganze Unterfangen ein wichtiges Lehrstück darüber, was man dringend vermeiden muss, wenn man eine Serie aufs Gleis heben will.

Und was ist das von dir selbst so bezeichnete ewige Projekt mit dem Drachen Fafnir und dem Drachentöter?

Carsten: Das Projekt ist weiterhin auf Eis und bleibt am Ende aller Tage eventuell lediglich eine Skizze. Im Grunde geht es um die klassische Siegfried – Geschichte, nur etwas anders erzählt. Das begann als Fremdimpuls, deckte sich aber zufällig mit eigenen Zielen.

Nachdem nichts draus wurde, habe ich das Ganze erstmal mit meinem Kamerabuddy Franz Lindinger weitergetrieben. Klar, war alles ein Riesenaufwand bisher, aber ich verfolge mittlerweile etwas Besseres: Ein Format für Kinder, das aber nicht so kindermäßig ist.
Alles spielt in einer eigenen, phantastischen Welt voller Puppencharaktere, Modellen und Miniaturen. Mehr verrate ich aus Selbstschutzgründen besser nicht.

Momentan arbeitest du eine Bestellliste der Booknooks ab, die du mit Walter Moers entworfen hast. Hast du zwischendurch Zeit andere Projekte anzugehen? Und was kommt danach? Gibt es schon Pläne?

Carsten: Ich bin aktuell mittendrin, vermutlich noch bis ins Frühjahr 2023. Danach kommt dann Booknook 2.
Zwischendurch kommen immer wieder Hildgunst 2 – Anfragen, die ich weiterhin on Demand herstelle.
Parallel arbeite ich – wie zuvor erwähnt – an einer eigenen Kinderserie (Inhalt geheim – Muss sein.) Da ist alles gedreht, aber die Postproduktion zieht sich wie Kaugummi.
Aktuell könnte zudem wieder ein Filmprojekt kommen, ist aber noch unklar.
Ansonsten mache ich dies und das, was sich ergibt, schwer zu sagen, was alles. Bunte Mischung.

Das klingt alles spannend. Und offiziell bestelle ich hiermit Booknook 2 und Rumo. Bei all deinen Projekten wünsche ich dir viel Erfolg! Vielen Dank für das Interview!

Carsten: Sehr gerne.

Web

Offizielle Webseite Carsten Sommer


Das Interview erschien im Januar 2023 in der phantastisch!! #89 (Atlantis Verlag). Das Magazin ist als Print-Ausgabe und PDF zum Download für z.B. deinen Kindle verfügbar.

Vielen Dank an den Atlantis Verlag und den Redakteur Klaus Bollhöfener.

Mach es wie die Gebrüder Grimm: Erzähl es weiter.