Interview Marianne Eschbach – 2006

ph 24Für die 24. Ausgabe des Magazins phantastisch! die im Oktober 2006 erschien, gab mir Marianne Eschbach ein Interview zu ihrem Debüt »Mirandas Weg«. Darin erzählt sie von ihrem eigenen, nicht immer leichten Weg, den sie gehen musste. Auch ihr Ehemann Andreas Eschbach kam zu Wort.

»Ich bin eher ein Epimetheus denn ein Prometheus, so ist mein Lebensgefühl.«

Ein Interview mit Marianne Eschbach & Andreas Eschbach von Nicole Rensmann

Schon Mary W. Shelly und ihr Ehemann Percy Bysshe Shelly gehörten zu dem Kreis der schreibenden Familienzunft. Richard Christian Matheson trat in die Fußstapfen seines berühmten Vaters Richard Matheson. Und nachdem sich Stephen Kings Frau Tabitha schon vor Jahren einen eigenen Fankreis erschrieb, folgte Sohn Owen in diesem Jahr mit seinem Debüt »Der wahre Präsident von Amerika«. Auch Joseph King alias Joe Hill schrieb zuletzt mit seinem Bruder an einem Drehbuch und geht den Weg des Schriftstellers.
Rebecca, Tochter von Schriftsteller Wolfgang Hohlbein und seiner Gattin und Muse Heike, griff ebenfalls zu Bleistift oder Tastatur und präsentierte dem Markt ihre eigenen Werke. Die Liste der Familien, die gemeinsam die Buchregale füllen, wird nun mit dem im August bei Weltbild erschienenen Roman »Mirandas Traum« fortgeführt – das Debüt von Marianne Eschbach, der Ehefrau von Andreas Eschbach.

Die am 10. Juni 1958 in Rottweil am Neckar geborene Marianne erlebte unbeschwerte Kindertage in dem kleinen, katholisch geprägten Örtchen Aixheim bei Rottweil. Dies änderte sich, nachdem der ansässige Pfarrer des Dorfes den Jugendlichen den Glauben gern mit der Peitsche einprügelte. Dieser Pein entgangen, absolvierte sie das Abitur und arbeitete nach einer Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin in der Motorenabteilung der Firma Bauknecht. Alles, was sie zusätzlich begann, erledigte sie mit Überzeugung und Einsatz, so ließ sie keine Friedensdemonstration aus und kündigte schließlich ihre Arbeit, da sie mit einem Auftrag für das libysche Verteidigungsministerium nicht konform ging. Nach einer bewegten Zeit, zog sie sich von den Friedensbewegungen, die nicht immer so friedlich verliefen wie sie eigentlich sollten, zurück. Währendessen begann sie ein Studium für Anglistik und Romanistik in Stuttgart. Nach der Vorprüfung für Anglistik wechselte sie in das Fach Philosophie. Nebenbei arbeitete sie u.a. in Speditionen und empfand die Gespräche der Fernfahrer facettenreicher als die der Professoren.

In den Büchern von Michael Ende fand sie ein für sie ansprechendes philosophisches Grundwissen. Noch heute hält sie den Schöpfer der Unendlichen Geschichte für einen der größten Autoren. In dieser Zeit begann sie selbst zu schreiben, doch die entstandenen drei Manuskripte landeten nie auf den Schreibtischen der Verlage. Sie selbst brach nach sieben Jahren das Studium ab und arbeitete für einige Jahre bei einem philosophischen Verlag bis sie bei der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald einstieg. Diese Zeit beinhaltet für sie die schönsten Erinnerungen ihrer Berufswelt.

Ein schwerer Unfall zerstörte das Glück und die Zufriedenheit, in der gleichen Woche erkrankte ihre Freundin an Unterleibskrebs.

»Es folgten Jahre, die schrecklich und schön in einem waren. Schrecklich deshalb, weil Krebs so absolut in den Mittelpunkt unseres Lebens gerückt war. Und schön, weil es zu einem Austausch und zu einer Freundschaft kam, die ohne Krankheit und Unfall wohl nie zustande gekommen wäre«, erzählt sie.

Während der Krankheit ihrer Freundin kümmerte sich deren geschiedener Mann liebevoll um sie und den gemeinsamen Sohn. Und so lernte Marianne ihren späteren Mann Andreas Eschbach kennen – eine Fügung des Schicksals. Sie fand den Weg zu Zen und dem Buddhismus, ging sechs Jahre in die Lehre des Benediktinermönchs Willigis Jäger und begann schließlich eine Ausbildung als Krankenschwester, konnte sich aber mit den dort herrschenden, wie sie schreibt »menschenverachtenden« Formen nicht anfreunden.

Heute lebt sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Andreas Eschbach in der Bretagne, direkt an der Küste, die den märchenhaften Namen Côte des Légendes trägt.

»Eines Tages«, so schreibt sie, »als Andreas wieder einmal in einer seiner Geschichten verschwunden war, habe ich mich also an die drei verlorenen Manuskripte erinnert und mich selbst an den Computer gesetzt.«

Sie haben unendlich viel in ihrem Leben ausprobiert und dem Anschein nach sehr bewusst durchlebt. e bewegte Zeit liest sich wie eine lange Reise, als suchten Sie nach dem richtigen Weg oder einem Ort, an dem Sie leben und glücklich sein können. Nun leben Sie mit Ihrem Mann in der Bretagne. Fanden Sie dort die Ruhe und die Muße, Ihren wahren Talenten auf den Grund zu gehen und mit »Mirandas Traum« Mariannes Traum zu verwirklichen?

Ja, es stimmt, ich habe das Gefühl, auf einer langen Reise zu sein, aber ich glaube nicht, dass diese Reise letztendlich mein persönliches Glück zum Ziel hat. Es geht eher darum, eine Ahnung, denn mehr ist es wohl nicht, davon zu bekommen, was das Leben in seinen verschiedenen Ausprägungen ist oder sein kann. Was ich eigentlich tue, ist, dass ich einer inneren Spur folge, aber eigentlich nicht weiß, wohin dieser Weg in der äußeren Realität führt. Ich plane nicht im Voraus, sondern entscheide gemäß dieser inneren Befindlichkeit und denke dann über das Erlebte nach. Ich bin eher ein Epimetheus denn ein Prometheus, so ist mein Lebensgefühl.

So weiß ich nicht, ob Schreiben nun mein wahres Talent ist oder nicht. Auch das ist etwas, das ich im Nachhinein erfahren werde, irgendwann, wenn ich am Ende meines Lebens tatsächlich zwanzig Bücher geschrieben haben sollte. Ich habe jetzt zwar mehrere Romanprojekte, aber was sich davon verwirklicht, muss die Zeit zeigen.

Ich kann nicht sagen, dass ich bereits von jungen Jahren an Schriftsteller werden wollte, so wie das bei Andreas und vielen anderen Autoren der Fall ist. Ich fühle mich auch nicht als Schriftstellerin, denn das Gefühl, eins mit einem Beruf zu sein, ist mir fremd. Ich möchte idealerweise zu jedem Zeitpunkt in dem aufgehen, was ich gerade tue, ob das nun Schreiben, Bügeln oder Spazierengehen ist. Es kommt auf die Tätigkeit als solche an.

Von 1986 bis etwa 1990 hatte ich eine Phase, in der ich mehrere Manuskripte verfasste, aber keine Resonanz fand. Mein Weg war dann der, aus der Welt der Bücher und Gedanken heraus in eine sinnlich erfahrbarere, konkretere Welt einzutauchen, als Waldschützerin und vor allem dann als Krankenschwester. Dass ich jetzt wieder in eine Welt der Bücher zurückgekehrt bin, erstaunt mich eigentlich von allen Wendungen, die mein Leben bisher genommen hat, am meisten.

Viele Jobs haben Sie schon ausprobiert. Haben Sie Ihre Bestimmung nun im Romane schreiben gefunden?

Es geht mir mehr um das Suchen, nicht so sehr um das Finden, und was ich finde, hat keinen ein für alle Mal festgelegten Wert. Jetzt schon ganz genau zu wissen, wer ich denn nun bin, wäre ein bisschen langweilig. Das reicht, wenn ich auf dem Totenbett liege. Und sollte ich den Zeitpunkt verpassen, ist das auch nicht weiter tragisch. Ich glaube zuversichtlich, dass ich unbelastet von einer wie auch immer gearteten Bestimmung in das Nichtwissen des Todes hineinspringen kann.

Ihre Freizeit muss, bei all den Interessen, sehr ausgefüllt gewesen sein. Wie verbringen Sie heute Ihre freie Zeit?

Der Unterschied zwischen freier und nicht freier Zeit hat sich aufgelöst, und ich muss sagen, dass ich das sehr genieße. Wenn Sie mich fragen, wie ich meinen Tag verbringe, so muss ich sagen, dass ich in vielen Dingen sehr viel langsamer geworden bin. Ich habe die Zeit, länger bei einer Sache zu verweilen, und das gefällt mir.

Welchen Beruf, welche Religion, welches Hobby würden Sie gern einmal näher kennen lernen oder ausprobieren?

Ich würde gern in einer Welt ohne Strom leben, als Teil einer modernen Gesellschaft, die Elektrizität nicht zu ihrer Lebensgrundlage gemacht hat. Also weniger als einsame Einsiedlerin in der Waldhütte, obwohl auch das seinen Reiz hat. Aber das Problem dabei ist, dass ich mich von der Gesellschaft, wie sie ist, ausklinke, wenn ich heute in meine Waldhütte gehe, und das finde ich bedenklich. Das hat zuviel von „ich hier“ und „die anderen dort“.

Stammen Sie aus einer künstlerischen Familie?

Ich komme aus einer mittelständischen Handwerkerfamilie, mein vier Jahre älterer Bruder führt nun bereits in der fünften Generation die familieneigene Schreinerei weiter. Nein, auch wenn ich den Kreis der Familie auf Onkel, Tanten, Cousins und so weiter ausdehne, da bin ich bislang wohl ein Ausreißer, was meine berufliche Laufbahn betrifft.

Bei meinen Recherchen stieß ich auf eine Marianne Eschbach, die als stellvertretende Redakteurin des Lifestyle Magazins BOLERO tätig ist. Und auf eine Frau mit dem gleichen Namen, die 2003 einen Artikel zum Thema »Krankenpflege« für eine Zeitschrift schrieb. Da Sie auch als Krankenschwester gearbeitet haben, erscheint besonders Letzteres plausibel. Sind diese Frauen mit der Autorin von »Mirandas Traum« identisch?

Sie haben richtig kombiniert: Der Artikel in der Pflege-Zeitschrift stammt von mir, mit der Bolero-Marianne-Eschbach bin ich allerdings nicht identisch, auch nicht mit jener, die irgendwie kirchenmäßig zugange ist. Obwohl man da vielleicht irrtümlich eine Beziehung herstellen könnte, da ich doch in einem Krankenhaus der Evangelischen Diakonissenanstalt gearbeitet habe. Dort war ich auf einer Station mit dem Schwerpunkt Endokrinologie, das heißt, wir hatten Patienten, die an den Spätfolgen von Diabetes litten, mit Durchblutungsstörungen und schrecklichen Wunden an den Füßen zum Beispiel. Daneben kamen viele alte, mehrfach kranke Menschen zu uns, auch sehr viele Pflegefälle.

In jenen Jahren ist mir klar geworden, was es bedeutet, wenn der Mensch zu einem bloßen Gegenstand herabgewürdigt wird, was wiederum mit der weit verbreiteten Auffassung zusammenhängt, daß unser Körper ein Gegenstand, eine Art Maschine ist. Seit damals habe ich grundlegende Zweifel an der Art von Medizin, die wir haben. Ich habe mich daraufhin mit alternativen Heilmethoden befasst, muss aber sagen, dass nach meiner Erfahrung diese die so genannte Schulmedizin, so katastrophal sie auch sein mag, derzeit noch nicht ersetzen können. Viele alternative Methoden imitieren einfach die Schulmedizin mit weniger wirksamen Mitteln, bei anderen fehlt uns die Sensibilität für die Abläufe im Körper oder für die größeren Zusammenhänge, in die wir eingebettet sind. Im indischen Ayurveda zum Beispiel, der mich sehr beeindruckt hat, ist das, was wir als Krankheit bezeichnen, bereits die fünfte oder sechste Phase in einem Geschehen, das im weitesten Sinne mit »Ins Ungleichgewicht kommen« umschrieben werden kann.

Cover: Mirandas Weg von Marianne Eschbach

Cover: Mirandas Weg von Marianne Eschbach

Über dieses Thema gäbe es sehr viel zu sagen, ich habe diesbezüglich zwei, drei Romanprojekte in Arbeit. Ich versuche mich da einerseits auf eine realistische, andererseits auch wieder auf eine phantastische Weise anzunähern, allerdings ist das mit »Mirandas Traum«, das ja einfach ein Märchen ist, nicht vergleichbar.

Erzählen Sie uns ein wenig über Martin, seine Schwester Miranda und dem Verwalter Marduk.

Na ja, das steht ja eigentlich alles im Buch, – oder vielleicht doch nicht. Also: der Martin heißt Martin, weil ich in meinen Jugendjahren heimlich für einen Martin schwärmte. Da ist aber nie etwas daraus geworden. Miranda hat ihren Namen seltsamerweise nach dem Äffchen von dem Zirkusjungen aus der Rätselserie von Enid Blyton. Ganz am Anfang hieß sie aber Isabella und gar nicht Miranda.

Marduk ist nicht nur eine alte babylonische Gottheit, sondern wahrscheinlich auch ein Verwandter der uralten Morla, die männliche Ausprägung sozusagen, sofern das bei Schildkröten in diesem Alter noch eine Rolle spielt.

In »Mirandas Traum« muss Martin, der viel lieber Computer spielt, das Traumland retten. In Ihrem Lebenslauf schreiben Sie: »Die Kinder, deren Erlebniswelt der Bildschirm ist, tun mir leid, denn sie wissen nicht, wie es ist, vom Baum zu fallen oder mit beiden Füßen in einem Ameisenhaufen zu stehen.« Demnach stehen Sie dem Thema Computerspielen weniger positiv gegenüber. Stellt Ihr Roman somit auch einen Appell an Eltern und Kinder dar?

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Computerspiele. Andreas’ Sohn Daniel hatte einige, die im Grunde genommen eine sehr gute Übung für komplexes Denken waren. Seit Frederic Vester wissen wir, dass vernetztes Denken dem linearen überlegen ist, weil es mehr von der Wirklichkeit erfasst, da ist es eigentlich nicht schlecht, wenn dies auf solch spielerische Weise eingeübt wird. Selber habe ich eine Zeitlang gerne eines gespielt, bei dem es darum ging, Eiswaffeln und Süßigkeiten einzusammeln und ab und zu ein Monster zum Platzen zu bringen.

Andererseits sehe ich eine Entwicklung, wonach die reale Lebenswelt, die wir mit allen Sinnen erfassen können, zunehmend von einer Metawelt der Bilder (Film, Fernsehen, Computer) überlagert wird, die sich nur einseitig an unseren Verstand wendet. Es genügt aber nicht, die Welt nur vom Verstand herzu erfassen, auch wenn der Verstand lernt, immer komplexere Zusammenhänge zu erkennen bzw. zu konstruieren.

Dem Verstand wird alles zum Gegenstand, womit er sich beschäftigt, und damit werden wir dem, was Leben bedeutet, nicht wirklich gerecht. Wer einen Frosch seziert und seine Teile benennt, weiß nicht, was ein Frosch seinem Wesen nach ist.

Als ich die Geschichte geschrieben habe, war mein Anliegen nicht der Appell. Es geht nicht um eine moralische Botschaft oder so etwas. Ich habe eine Form gesucht für mein innerstes Empfinden, dass es neben dem Verstand weitere Bereiche des Bewusstseins gibt. Der Computer steht für den Verstand, der uns angeblich ein Wissen von der Welt vermittelt, das Traumland für einen Bereich des Bewusstseins, der uns mit anderen verbindet, und zwar ohne dass man zum Telefon greifen oder über telepathische Fähigkeiten verfügen muss.

Was werden wir zukünftig von Marianne Eschbach zu lesen bekommen? Gibt es weitere Pläne? Wird es neue Abenteuer im Traumland zu bestehen geben?

Weiter oben habe ich ja schon einige Projekte erwähnt. Gerade überarbeite ich ein Manuskript, das sich mit der Wechselwirkung von Mythos/Religion und gelebter Wirklichkeit befasst, und das Ganze spielt in einer eigens zu diesem Zweck erfundenen Welt.

Was weitere Abenteuer im Traumland anbetrifft, so bin ich käuflich. Es gibt noch Pläne ja, die aber nicht erste Priorität haben, es sei denn, eine Menge Leute sagen, sie wollen mehr von den Traumlanden lesen, das würde die Prioritäten wohl verschieben.

Werden sich die Leser über ein Gemeinschaftsprojekt zwischen Marianne und Andreas Eschbach freuen können?

Man soll nie „nie“ sagen, aber vorstellen kann ich mir das eigentlich nicht. Andreas und ich sind in vielerlei Hinsicht wie Tag und Nacht, da sind wir vollauf damit beschäftigt, das im Leben unter einen Hut zu bekommen. Das auch noch in einem gemeinsamen Roman zu versuchen, oh weia! Nein, in seinen Romanen soll jeder von seiner eigenen Welt erzählen, das ist viel besser!

Ihr Mann leitet auch Schreibkurse. Haben Sie selbst einen dieser Kurse besucht – oder planen Sie gar, ihm auch in diesem Bereich Konkurrenz zu machen?

Ich habe einen hehren Anlauf gemacht und mich zum letzten Wolfenbüttel-Seminar von Andreas und Klaus Frick angemeldet, um dann in letzter Minute wieder abzuspringen. Nein, für mich kommt Schreiben aus einer inneren Wirklichkeit, nicht aus einer äußeren, das ist mir dabei klar geworden.

Wohl fühle ich mich, wenn ich mit einem oder wenigen Freunden ein gutes, intensives Gespräch führen kann. Als Lehrer einer Gruppe gegenüberzustehen, allein der Gedanke verursacht mir schon Panik.

Lesen Sie die Bücher Ihres Mannes? Bzw. lesen Sie Ihre Werke untereinander oder diskutieren Sie lieber nicht über Ihren gemeinsamen Beruf?

Ja, ich lese sie als Erste, aber oft erst, wenn das Manuskript in der Rohfassung vorliegt. Dann kritisiere ich, dass die Fetzen fliegen, rede mich in Rage, werde laut und brülle oder breche in Tränen aus, je nachdem. Das ist eine Phase, in der es hoch her geht bei uns. Umgekehrt tut sich Andreas mit Kritik ziemlich schwer. Ihm ist es angeboren, immer zuerst das Positive zu sehen, ich hingegen sehe zuerst das Negative. Wobei ich das schade finde, denn ich meinerseits möchte ebenso kritisiert werden, wie ich selbst kritisiere. Ich finde, dass in der Welt viel zu wenig kritisiert wird. Deshalb habe ich mir nun Roman Hocke als Agent gesucht, der macht das dann.

Ich würde mal sagen, dass über fünfzig Prozent aller Gespräche, die Andreas und ich haben, sich in irgendeiner Weise mit dem Schreiben befassen.

Glauben Sie, dass ihr Nachname einen gewissen Anreiz auf Verlag und Markt hat und Leser aufgrund des Bekanntheitsgrades Ihres Mannes eher zum Buch greifen könnten?

Klar! Ich selbst hätte diesen Impuls bei der Auswahl eines Buches. Von Frau Ende hätte ich mir sofort ein Buch gekauft, allein um zu sehen, in welchem persönlichen Umfeld Michael Ende gelebt hat und wer die Menschen in seiner Nähe waren. Sicher würde ich auch nach einem Buch von Frau Schätzing (so Herr Schätzing überhaupt verheiratet ist, das weiß ich nicht) greifen und es mir zumindest einmal ansehen. Und Sie haben sich wegen dieses Interviews ja auch zuerst an meinen Mann gewandt, das mag vielleicht in dieselbe Richtung gehen, wie ich mir zumindest vorstellen könnte.

Wenn ja, stört Sie das?

»Mirandas Traum« ist die Nacherzählung einer Geschichte, die etwa 1986 entstanden ist, viele bildhafte Elemente wie der Rote Skorpion und die Weiße Jägerin, der Krieg der Tropfsteine, Marduk waren schon da, allerdings hat der Geschichte die Kohärenz, die Einbettung in einen Zusammenhang gefehlt.

Diese Urversion habe ich damals an fünf Verlage geschickt, vier Formbrief-Absagen erhalten und eine vom Thienemanns oder Weitbrecht Verlag, dergestalt, dass die Geschichte ihnen zu nahe an Michael Ende dran wäre.

Es kann natürlich sein, dass ich seit 1986 schreibtechnische Fortschritte gemacht habe. Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Nähe zu Michael Ende keine Rolle mehr spielt, weil dieser seit über zehn Jahren tot ist. Und eine dritte Möglichkeit, die man ehrlicherweise nicht außer Acht lassen kann, besteht darin, dass für Weltbild der Name „Eschbach“ interessanter war als der Inhalt der Geschichte. Und dann gibt es wiederum eine Reihe von Verlagen, die das Manuskript trotz des Namens abgelehnt haben. Das sind so die Möglichkeiten, mit denen ich mich konfrontiert sehe und die ich einfach einmal so stehen lassen möchte.

Sagen wir so: Wenn ich mir selbst etwas hätte beweisen wollen, dann hätte ich versuchen können, meine Romane unter Pseudonym anzubieten.

Vielen Dank für die Zeit, die Sie dem Interview geopfert haben. Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg für Ihren Roman!

Dankeschön!

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Und was sagt Andreas Eschbach zum Thema?


Andreas, hast du deine Frau zum Schreiben ermuntert und standest du mit Rat und Tat zur Seite?

Marianne hat schon geschrieben, als wir uns noch gar nicht kannten, von daher stellt sich die Frage so nicht. Sie hat das Schreiben allenfalls wieder entdeckt.

Am besten erzähle ich gleich mal, wie es nicht war: Ich habe ihr nicht beigebracht, wie man schreibt – das hat sie schon selber herausgefunden. Ich habe ihr auch nicht Tür und Tor bei Agenten und Verlagen geöffnet, obwohl ich das durchaus gerne getan hätte. Bloß – weder ein Agent noch ein Lektor lässt sich durch das Argument »das ist ein Buch meiner Frau« auch nur im Mindesten beeindrucken. Wenn es nicht gefällt, kommt die Absage ganz genauso, da machen sich alle, die glauben, man brächte es nur mit »Beziehungen« weiter, was vor. Ich bin mir nicht mal sicher, ob es nicht eher ein Handicap ist, »Ehefrau von« oder dergleichen zu sein. Zumindest halten sich Vorteile und Nachteile ganz gut die Waage.

Wie fühlst du dich nun, wenn du Konkurrenz aus dem eigenen Hause bekommst?

Konkurrenz? Überhaupt nicht. Geht doch alles in dieselbe Kasse! Nein, im Ernst: Etwas besseres kann einem als Schreibendem nicht passieren, als dass der Ehepartner ebenfalls schreibt. Ich kenne etliche Kollegen – beiderlei Geschlechts –, die darunter leiden, dass ihre bessere Hälfte nicht versteht, was sie da eigentlich treiben, was einem das Schreiben bedeuten kann und mit welchen Schwierigkeiten man bisweilen ringt. Sprich, warum man manchmal mit glasigen Augen da sitzt und nicht ganz in dieser Welt ist – wenn man nicht weiß, wie das so gehen kann beim Schreiben, denkt man da Wunder was.

>Überdies finde ich es faszinierend, wie völlig anders Marianne arbeitet beim Schreiben. Das gibt immer wieder interessante Gespräche. Ich gucke mir manchmal was bei ihr ab, sie sich bei mir, aber wir können aufgrund unserer Verschiedenheit nicht umhin, festzustellen, dass es »die« Methode beim Schreiben nicht gibt, sondern dass jeder sich seine eigene, ganz persönliche Vorgehensweise erarbeiten muss. Was ich, wie ich an mir beobachte, in meinen diversen Auslassungen zum Thema Schreiben in letzter Zeit immer mehr betone.

Zwangsläufig muss ein Schriftsteller-Ehepaar nicht die Werke des Partners mögen. Doch was hältst du von »Mirandas Traum«?

»Mirandas Traum« ist ein Buch, das denen gefallen wird, die auch die Bücher von Michael Ende mögen – das ist ja schon gesagt worden. Nun gehöre ich aber nicht unbedingt zu den Ende-Fans. Ich habe zwar, wie wohl jeder, »Die unendliche Geschichte« gelesen und »Momo« und noch ein paar mehr, aber sonderlich berührt haben sie mich, offen gesagt, nie. Im Vergleich damit gefällt mir Mariannes Buch wesentlich mehr. Sie mag es unter dem Einfluss von Michael Ende geschrieben haben, aber sie schreibt besser als er.

Sie hat eine starke Begabung, Bilder und Symbole zu erschaffen, die einen auf einer tiefen Ebene berühren. Überhaupt kenne ich niemanden, der einen so guten Blick für die Tiefenstruktur von Geschichten hat, für das, was eine Geschichte eigentlich sagt, will, tut. Das ist eine Ebene des Erzählens, auf der ich persönlich mich schwer tue, und wenn sie da loslegt, komme ich mir bisweilen vor wie ein Fußlahmer, der einem Tänzer zuschaut. Diese ganzen Bücher über die mythologischen Strukturen in Geschichten, die braucht Marianne nicht – die könnte sie selber schreiben!

Außerdem gehört sie zu den Leuten, die in Krimis immer gleich wissen, wer der Täter ist. Ich errate sowas ja nie. Entsprechend baut sie in ihre Romane gern überraschende Auflösungen ein, und das Ende in »Mirandas Traum« hat mich völlig verblüfft.

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