Ein Rückblick. Das Ende. Ein Anfang. Vom Wandel der Zeit, oder: Schreiben – ja! Lesung – nein!

Überall gibt es einen Anfang und ein Ende, nur bei "Niemand" nicht.Ich habe eine Entscheidung getroffen.

Ich habe schon oft Entscheidungen getroffen, doch diese hat sich über Monate, ja sogar Jahre hingezogen. Einen Schlussstrich zu ziehen ist mir sehr schwer gefallen. 

Die Sache mit dem Traum

Bücher schreiben, Leser begeistern und auf der Bestsellerliste landen, vom Schreiben leben können – das war zwanzig Jahre lang mein Traum. Punkt eins und zwei – Bücher schreiben, Leser begeistern – das hat viele Jahre gut geklappt. Doch wir wissen ja, wenn es am Schönsten ist, sollte man aufhören. Den Zeitpunkt habe ich verpasst. Trotzdem gibt es noch Absprungmöglichkeiten. Ich springe. Ja, ich ziehe mich zurück. Nein, ich werde nicht mit dem Schreiben aufhören, aber ich werde mich aus dem Literaturbetrieb einen weiteren Schritt zurückziehen. Das hat viele Gründe. Ich führe nur ein paar wenige auf. 

2018 legt der Atlantis Verlag meine Romane »Anam Cara – Seelenfreund« und »Ciara« neu auf. Cover: Timo Kümmel

Lesung 2013 - in einer Grundschule mit LUZIFEE

Lesung 2013 – in einer Grundschule mit LUZIFEE

Rückblick – Heute

Die Sache mit den Lesungen

Meine erste Lesung fand am 05. Mai 2001 statt. Der Ort: Ein Geschäft. Besucher: Meine Schwägerin, mein Schwager und ein paar Menschen, die zu diesem Zeitpunkt einkauften. Boah, und ich war so nervös.
Mehr als 50 Lesungen folgten, an manchen Tagen habe ich mehrfach gelesen, auch an unterschiedlichen Orten. Das ist im Verhältnis zu manchen Autoren sehr wenig. Und dennoch: Ich habe in Schulen und Krankenhäusern gelesen, bei privaten Veranstaltungen oder öffentlichen Events. Ich habe fürs Fernsehen, in Cafés oder im Theater aus meinen Büchern vorlesen dürfen. Danke dafür.
Ich habe vor „Niemand“ gelesen (als es »Niemand« noch nicht gab), und auch vor mehr als 100 Zuhörern.

Nach meiner ersten Lesung folgte die Perfektion: Musikalische Begleitung, kleine Kulinariker (Kekse, Waffeln, mehr – passend zum jeweiligen Buch), Flyer, Umkleiden während der Lesung, Zeitsprünge, Fremdmoderation, Mitleser, Handpuppen … die Lesungen wurden zum Event. Die Vorbereitungen zum Zeitschlucker. Die Honorierung  für alle Beteiligten am Ende immer ein Desaster.

Ich habe tolle Künstler kennengelernt, mit denen ich meine Lesungen kongenial bestritten habe. Danke, dass ihr dabei wart!

Die Organisation einer Lesung raubte Zeit und Kreativität. Es stellte sich ein ungutes Gefühl ein. Darum änderte ich den Umfang der Lesungen, las nur noch auf Einladung und dazu „pur“ – keine Musik, kein Gedöns, nur mein Sohn, der mit mir zusammen las. Jetzt musste doch alles wieder besser werden. Mitnichten.

Lesung 2013 - Buchhandlung Potthoff

Lesung 2013 – Buchhandlung Potthoff

Vorbereitung: Welche Buchstellen lese ich, welche er? Wer übernimmt welchen Dialog? Das zeitgenaue Timing üben. Und überhaupt, ein-zwei-drei Mal den Durchlauf testen. Und schon rannte das weiße Kaninchen durch das Wunderland, stets ein Blick auf der Taschenuhr.
Dazu: Nervosität und – zugegeben –  ein übertriebenes, völlig unnötiges Stressgefühl.

Eine Lesung soll für den Zuhörer ein besonderer Moment sein. Ein Event, für das er – auch im Bestfall für den Autor – Eintritt gezahlt hat und nun gut unterhalten wird.

Obwohl ich mich selbst gegen das nun folgende Wort sträube, eine Lesung ist auch eine Werbeveranstaltung. Eine Werbeveranstaltung, die jedoch – aus nunmehr 17 Jahren Erfahrung – heute kaum noch Werbeerfolg bringt. Nicht hier, in dieser Region. Nicht in dem Genre, in dem ich mich bewege.

Die Sache mit den Verlagen

Die Presse war immer da. DANKE dafür!

Nur einmal konnte ich einen Publikumsverlag für ein Buch begeistern, doch der zuckte am Ende wieder zurück: Risiko. Denn ein Niemand ist ein Risiko.
Die großen Verlage gingen noch nie gerne Risikos ein, und in den letzten Jahrzehnten hat sich der Mut dazu auf ein Nanoteilchen verringert. Ich kann das verstehen, denn sie tragen auch Verantwortung: Mitarbeiter müssen bezahlt, der Markt bedient werden. Darum greifen Publikumsverlage zu Mainstream oder publikumswirksamen Autoren – den Promis.  Das war schon immer so, das wird sich nicht ändern.

Anders die Kleinverlage, zu denen auch der Altlantis Verlag  von Guido Latz und der Fabylon Verlag von Uschi Zietsch gehören. Hier habe ich meinen Platz gefunden. Gemeinsam sind wir Kämpfer und Individualisten. Wir sehen das Gute, das Beste, haben Mut und scheuen nicht das Risiko.

Kleinverlage sind für mich die Sieger der Literaturszene.

Heute jammern die großen Verlage. Umsatzeinbrüche von über 50% heißt es aktuell.* Der Mensch liest nicht mehr. Und wenn er liest, dann kauft er nicht. Es stimmt. Die großen Verlage haben Recht. Die kleinen Verlage bedienen Nischen und hangeln sich hier – teilweise – noch vorbei. Doch wir merken alle die Veränderung der Gesellschaft. Wir sind die Gesellschaft, wir haben uns verändert. Das ist normal, aber ich muss entscheiden, ob ich mitziehe oder ob ich etwas ändere. Ich habe mich entschieden.

Die Sache mit dem Konsum

Das Land der Dichter und Denker dichtet und denkt nicht mehr?! Wenn wir ehrlich sind, dann konsumieren wir Medien in großen Mengen: amazon Prime, Netflix, Youtube, Zugang zu hunderten TV-Sendern, Facebook, Instagram, Twitter, diverse Streamingdienste und Mediatheken aller TV-Sender, Podcast, Radio. Wir hören, sehen, nehmen auf – überall.
Eine virtuelle Informations- und Unterhaltungsschwemme, die uns vom gedruckten Wort fernhält. Kaum Zeit für Lesungen, für Bücher.
Ganz ehrlich? Auch ich habe dieses Phänomen bei mir bemerkt. Aber ich steuere jetzt dagegen.

Das Ende einer Ära

Der Austausch mit den Menschen, die gekommen waren, um mich zu hören, fehlte irgendwann. Da war die Presse, die erst einmal Fotos schießen oder ein Interview führen wollte, dann kam der Bus, die Zeit war rum, der Zuhörer weg, der Abend vorbei. Schon?
Doch ich liebe das Gespräch, und ich mag es, mich dazwischen zu mogeln und zuzuhören. Ich will nicht der Mittelpunkt sein. Nicht mehr.

Vielen Dank an die Presse, die immer zu meinen Lesungen gekommen ist oder schon im Vorfeld darüber berichtet hat. 

Jede Lesung bot auf ihre Art besondere Momente, und meine ersten Lesungen habe ich genossen – aus vollstem Herzen und mit Freude.
Aber die Vorbereitungen und der Lesungstag selbst haben mir zu viel Zeit geraubt. Und am Ende fühlte sich all das nicht mehr richtig an.
Es sollen Andere lesen, für mich, die das besser können, falls sich diese Möglichkeit ergibt. Und falls nicht, auch gut.

Schreiben ist für mich die Yogamatte. 

Ich möchte Bücher schreiben, die, lieber Leser, deine Sorgen vergessen lassen. Ich möchte Bücher schreiben, die dich verzaubern, zum Nachdenken anregen oder dir schlaflose Nächte bereiten. Das möchte ich. Aber die Zeit, in der ich mich mit meinen Büchern in die Öffentlichkeit zerre, sind vorbei.
Meine letzte Lesung mit Niemand und Niemand – Mehr gab ich in Oberhausen. Wer nicht da war, hat es verpasst.

Ein Ende. Und ein Anfang. So wie es auch im Niemandsland steht.

 

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