Kolumne: Die Bibel – selbst verlegt?! Oder braucht ein Autor noch einen Verlag?

Only BestsellersMehr als vier Jahre ist es her, dass ich den Artikel „Nein, wir zahlen nicht!“* schrieb. Heute – vier Jahre später – hat sich der Literaturbetrieb drastisch verändert. Indie – das ist ein neues Wort, das Autoren in ihren Wortschatz aufnehmen müssen  – alte wie neue, erfolgreiche und weniger berühmte.

Indie stammt von Independent ab und bedeutet  – bezogen auf die Literaturbranche – seine Werke selbst verlegen. Klingt einfach, ist es aber nicht, geschieht selten grundlos und kostet – perfekt umgesetzt – Geld.

Verlag und Autor – das funktioniert nur mit den richtigen Zahlen

Ausgangsposition: Roman oder Exposé, Idee und Umsetzung sind top! Der Autor ist zuverlässig und strebsam. Möglicher Verlauf: Unbestimmt.

Der unantastbare Schriftsteller-Millionär in seinem goldenen Turm - Wünsche, Fiktion, Wahrheit.

Der unantastbare Schriftsteller-Millionär in seinem goldenen Turm – Wunsch, Fiktion, Wahrheit.

Der Autor hat eine Idee, verfasst ein Exposé, schreibt die ersten dreißig Seiten und schickt alles zu seinem Agenten. Der engagierte Agent sucht einen Verlag, findet ihn natürlich, der Autor bekommt einen Vorschuss vom Verlag, das Buch wird beendet, die Veröffentlichung folgt, der Verlag macht umfassende Werbung, der Verkauf ist gut, der Autor verdient weiter an den Verkaufszahlen. Das nächste Buch soll erscheinen, entweder schlägt der Verlag ein Thema vor oder der Autor. So oder so: Alle sind zufrieden. Der optimale Fall. Doch optimal ist nicht die Regel.

Nicht selten sieht es anders aus. Der Agent des Autors findet keinen Verlag. Der Autor hat keinen Agenten. Der Autor findet allein keinen Verlag.
Ablehnungsgründe sind vielfältig. Das Manuskript passt nicht ins Programm – hier hätte sich der Autor vorher erkundigen müssen. Pech gehabt. Doch auch Stammautoren finden sich in einigen Verlagen, Platz für neue Schriftsteller ist nur selten. Wer negativ aufgefallen ist oder sich in zu vielen Genren austobt, ist bei den Verlagen nicht unbedingt beliebt. Und Schriftsteller, die zwar schon Jahre veröffentlichen, aber kein heißer Tipp sind – also noch keinen Bestseller gelandet haben – sind nichts als verbrannte „Ware“.
Der Roman ist großartig, aber nicht für eine breite Masse geeignet. Auch in diesem Fall lehnt der Verlag ab. Investieren – ein Risiko. Die Manuskripte werden nicht von bibliophilen Lektoren, sondern von zahlenliebenden Managern ausgewählt. Ein Buch muss massenkompatibel geschrieben sein. Dann nehmen es die Verlage, dann kaufen es genug Leser und die Kasse klingelt. 

Eine weitere Möglichkeit: Der Autor findet einen Verlag. Der Verlag zahlt keinen Vorschuss. Der Verlag macht keine Werbung. Das Buch verkauft sich nicht. Nicht immer die Regel, aber auch nicht die Ausnahme.

Was der Leser nicht findet, kann er auch nicht kaufen

Viele Leser wissen nicht, dass die Bücher, die auf den Tischen in den Buchhandlungen liegen, nur ein kleiner Teil des Lesestoffs darstellen. Diese Tische sind von den Verlagen bezahlt. Dort finden Bücher von kleinen Verlagen, wie z.B. der Atlantis Verlag, der u.a. meinen Roman »Niemand« und den mehrfach nominierten Roman »Anam Cara« veröffentlicht hat, keinen Platz. 

BuchladenDenn kleine Verlage und Indies können sich diese Ausgabe nicht leisten. Amazon hin oder her – ohne Online-Buchhändler sähe es für viele Kleinverlage und Indies schlecht aus, denn allein in den verlags- oder autoreneigenen Shops verkauft sich das Programm nicht.
Werbung? Auch bei großen Aktionen muss ein kleiner Verlag schon rechnen. Er würde vielleicht gern, kann aber nicht. Der Publikumsverlag könnte, er will aber nicht immer. Große Verlage zahlen für die Publikumslieblinge – für die erfolgreichen Autoren, für Promi-Bücher oder für solche Romane mit schlüpfrigen Themen – massenkompatibel eben. Kaum Ausnahmen bestätigen diese Regel. 

Der kleine Verlag und der kleine Autor – 2 x klein macht leider nicht groß

So. Nun bringe ich als „kleine“ Autorin meine Bücher bei kleinen Verlagen raus. Dafür bekomme ich vom Verlag Honorar. So wie sich das auch gehört. Beteiligt werde ich am Buchverkauf. Verkauft sich das nicht gut, bekomme ich weniger. Um das Marketing kümmere ich mich selbst. Lesungen? Organisiere ich seit  »Niemand« nicht mehr. Warum? Letztendlich zahlt sich die Werbung, das Drucken von Plakaten und Broschüren nicht aus.

Das ist Fräulein Klimper, meine Wimper-Wünsche-Fee aus dem Roman "Niemand"

Das ist Fräulein Klimper, meine Wimper-Wünsche-Fee aus dem Roman „Niemand“. Grafik: Timo Kümmel

Für Lesungen werde ich, gegen Honorarzahlung vom Veranstalter, eingeladen. Das kommt vor, ist in den letzten Jahren jedoch seltener geworden. Das Geld sitzt knapp, wenn es ums Buch oder Kultur im Allgemeinen geht. Und dennoch möchte ich die wenigen, lieben Leser, die ich habe und denen ich dankbar bin, dass es sie gibt, meine Bücher weiterhin zur Verfügung stellen können. Also schreibe ich weiter. Im Stillen hoffe ich auf den großen Erfolg, ahne aber, dass er nie kommen wird. Aber ich weiß, finde ich keinen Verlag mehr,  gibt es immer noch die Möglichkeit ein Indie zu werden und so vor allem den »Niemand«-Fans ihren zweiten Teil aus dem Niemandsland präsentieren zu können. Aber auch hier ist der Aufwand hoch, der Ertrag voraussichtlich niedrig und steht somit in keinerlei Relation. Ein Publikumsverlag, der »Niemand« und somit mir, den Rücken stärkt, der an den Erfolg glaubt und dafür mit ausreichenden Mitteln gemeinsam mit mir kämpft – das wäre mein Wunsch. Aber für Wünsche ist Fräulein Klimper zuständig. Und die kommt nicht zu mir. Bleibt also zukünftig das Indie-Dasein? Ein bisschen sträube ich mich dagegen. Dabei gibt es Promi-Indies, die jeder kennt. 

götzSchon Goethe war ein Indie 

Johann Wolfgang von Goethe, geboren 1749 (!) – nur wenige wissen es vermutlich – hat den Weg der Selbstpublikation gewählt. So soll Johann Wolfgang von Goethe seinen bekannten »Götz von Berlichingen« 1773 mit einer Auflage von 500 Exemplaren mithilfe eines Pseudonyms zunächst selbst publiziert haben. Dieses Wissen lässt viele von uns Autoren hoffen.

Auch Dr. Heinrich Hoffmann (*1809)  ist ein Indie. Sein Name selbst ist vielleicht nicht so sehr bekannt, doch sein Buch kennt jeder. Struwel1Er ist der Autor und Illustrator von »Der Struwwelpeter«. Auch er zog es vor, seine Gedichte und Theaterstücke zunächst unter Pseudonym zu veröffentlichen, nicht zuletzt, weil er als Arzt arbeitete und einen Ruf zu verlieren hatte. „Der Struwwelpeter“ war ein Geschenk für seinen Sohn. Mit einer Auflage von einem Stück schenkte er es ihm Weihnachten 1844.
Und auch Markus, Lukas, Matthäus und Johannes werden mit ihren parallel geschriebenen und weitergeführten Geschichten über Gott, die Welt und das Jesuskind keinen Verlag gefunden und somit die Bibel auf ihre Art selbst verlegt haben. Wer würde so ein phantastisches Zeug über unbefleckte Empfängnis, sprechende Büsche, durchs Wasser gehende Menschen und actionreiche Weltuntergänge nach den sieben Plagen auch lesen? „Die Bibel“ ist heute das erfolgreichste Print-Buch.  

Doch positive Beispiele gibt es auch in der Neuzeit. Ob nun »Shades of Grey« oder, was viel interessanter, Nele Neuhaus, die zuerst bei BOD ihre Krimis selbst veröffentlichte und nun bei Ullstein publiziert. Es gibt sie, die Indie-Autoren, die erst zahlreiche Absagen erhielten, dann die Veröffentlichung selbst in die Hand nahmen und plötzlich doch von einem Publikumsverlag entdeckt wurden.

"Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen". - Goethe

„Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen“. – Goethe

Nun kann ein Indie nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass seine (oder ihre) Werke vom Leser beachtet und von einem Verlag entdeckt werden. Das hat es gegeben, ist aber – machen wir uns nichts vor – die Ausnahme.
Aber auch zu den großen, glänzenden Sternen am Literaturhimmel mithilfe von Agent und Verlag zu gehören ist eine Ausnahme. Ausnahmen sind die Regel.

Selbstverlegte Bücher. Alles Mist?

Seit es eBooks gibt, vermarkten sich deutlich mehr Autoren selbst, als vor dieser technisch-literarischen Errungenschaft. Manche beherrschen ihr Handwerk perfekt, haben nur keine Lust (mehr) auf die Verlagsindustrie, andere sehen in der Selbstpublikation die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen – ohne jeglichen Anspruch auf Qualität. Die dritte Gruppe  sind die Autoren, die bereits bei Verlagen veröffentlicht haben und ihre nicht mehr lieferbaren Bücher für den Leser als Backlist in Form von eBooks zur Verfügung stellen. Daneben gibt es natürlich noch weitere Selbstpublikationen, doch es geht nur um diejenigen, die sich als Schriftsteller bezeichnen.
Denn so oder so: Die Kritiker und die Leser kennen den Unterschied nicht.
Doch letztendlich zählt Qualität. Eine gute Idee, ideal umgesetzt, ein professionelles Lektorat und ein ansprechendes Cover – all das gehört zur optimalen Selbstpublikation dazu – egal ob eBook oder Print.  Aber optimal ist gar nicht so einfach und kostet vor allem Geld.  Doch auch Romane, die durch einen Verlag vertreten werden, verfügen nicht immer über eine gute Qualität, ein professionelles Lektorat, tolle Story, klasse Stil, schönes Cover.  Für den Leser und den Kritiker wird es darum immer schwieriger zu wissen, wie der Roman ans Tageslicht kam. In der Regel zählt also nur die Geschichte.

Verlag und Autor – eine Künstlerehe

Verlag & Autor: Sie werden das Buch schon schaukeln.

Verlag & Autor: Sie sollten das Buch schon schaukeln.

Es waren einmal ein Verlag und ein Schriftsteller, die sich nach langem Suchen oder kurzem Intermezzo fanden, sie verliebten sich auf geschäftlicher und künstlerischer Ebene ineinander, vertrauten sich gegenseitig, stärkten sich den Rücken und zogen ein Etwas gemeinsam groß. Dafür gaben beide Seiten ihr Bestes und ihr jeweiliges Können. Kaum war es geboren – das Etwas – erhielt es seinen Namen. Es war ein Buch! Es hieß „Zum Beispiel“. Die Arbeit ging weiter, denn es sollten noch viele gemeinsame Projekte den Literaturmarkt überschwemmen.  Erfolge wollten gefeiert werden. So bleiben Sie zusammen, bis an ihr Lebensende. Ein Märchen.
Denn in jeder Ehe kriselt es schon mal. Meinungsverschiedenheiten, Streit, weil nicht jeder immer beständig gute Arbeit abliefert, die Verkaufszahlen rückläufig, die Rezensionen nicht gut genug sind, der Verlag nicht genug Werbung macht, den Autor vernachlässigt. Nach dem Streit kommt das Schweigen, und plötzlich geht einer fremd. Die Trennung steht unmittelbar bevor. Der Verlag findet immer einen neuen Autor. Der Autor aber nicht immer einen Verlag. Nun steht er wieder da. Und weiß, das ist die Regel.

Braucht ein Autor noch einen Verlag? Der Autor – ein Kämpfer, ein Mutloser

Schriftsteller sind meist empfindsame und empathische Menschen, ansonsten könnten sie keine Romane mit stimmiger Atmosphäre und echten Charakteren schaffen. Viele zweifeln ständig an sich und ihrem Werk und doch sind sie oftmals total verliebt in ihre Geschichte. Ein leicht schizophrenes Phänomen. Künstler eben. So verlässt sie der Mut, nur um anschließend wieder zu kämpfen. Weil sie nicht aufgeben wollen. Oder weil irgendwo ein einziger Befürworter für neue Hoffnung gesorgt hat. Manche leiden natürlich auch an Selbstüberschätzung, bezeichnen sich fälschlicherweise als Autor, sind unzuverlässig oder beherrschen ihr Handwerk nicht. Gibt es alles.

Doch wir gehen zur Ausgangsposition zurück: Roman oder Exposé, Idee und Umsetzung sind top! Der Autor ist zuverlässig und strebsam. Möglicher Verlauf: Unbestimmt.

Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns, sagte einst Franz Kafka. Damit das so bleibt – und sich der Autor auf seinen Job konzentrieren kann -, muss der Verlag die Hebamme für das frischgeborene Werk eines Autors sein. Denn das ist meine Überzeugung. Aber:

"Zwei Wege boten sich mir dar und ich nahm den, der weniger begangen war und das veränderte mein Leben." - Robert Forst / Grafik: Thomas Hofmann

„Zwei Wege boten sich mir dar und ich nahm den, der weniger begangen war und das veränderte mein Leben.“ – Robert Forst / Grafik: Thomas Hofmann

Ein Schriftsteller kann und sollte seine Romane und Geschichten in eigener Herstellung veröffentlichen, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Ich strebe das auch an, wird sich der Markt weiterhin so drastisch verändern. Mut und Glück brauchen beide – der Verlagsautor und der Indie.
Der Indie benötigt jedoch mehr Selbstbewusstsein. Hinter ihm steht kein Agent, kein Verleger, der an ihn und sein Werk glaubt. Und er braucht ein großes Umfeld oder Know-how. Er ist dann nicht nur Schriftsteller, sondern kümmert sich um Cover, Lektorat, Grafiken, Marketing, Druck, Satz und eBook-Erstellung. Der Indie investiert nicht nur Zeit, Arbeit und Herzblut in seine Romane, er investiert noch viel mehr, denn die perfekte Umsetzung und Vermarktung eines Buches kostet Geld, das eigentlich der Verlag einsetzen müsste. Aber – und da sind wir wieder am Anfang – dafür muss das Werk massenkompatibel oder der Verleger mindestens genauso mutig und verliebt sein, wie der Schriftsteller es ist. Doch Mut gehört heute nur noch selten zum Geschäft. So sieht die Realität aus. 
Doch die Realität ist nicht immer optimal, wenn auch die Regel. 

Ein Fazit gibt es hier nicht, denn jeder muss seinen eigenen Weg finden und gehen. Und dabei schadet es sicherlich nicht, auch mal zwei oder mehrere Pfade einzuschlagen und Erfahrungen zu sammeln.

In diesem Sinne: Danke fürs Lesen.


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